Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
der Maschine abgestellt und sowohl auf Louis' als auch auf meiner Seite geerntet. Ich hatte befürchtet, dass Areto noch einmal auftauchen würde, und nicht gewollt, dass ihr seine Abwesenheit auffiel.
Wortlos drückte ich ihm seinen Korb in die Hände und kletterte wieder auf meine Seite hinüber.
„Danke.“ Mehr kam nicht.
Und mehr kam auch in den nächsten Tagen nicht. Auch nicht von mir.
Dank unserer erneuten schweigsamen Effektivität hatten wir unser Erntesoll früher erfüllt als gedacht und ich konnte nach dreieinhalb Wochen zu meinem üblichen Stundenplan zurückkehren. Als wir unsere letzten Pflaumen geerntet hatten, hätte ich tanzen und singen können, weil ich wusste, dass ich jetzt erst einmal ein Jahr lang Ruhe hatte, bevor ich wieder irgendetwas würde pflücken müssen. Andererseits …
Gemeinsam trugen wir die letzte Kiste auf den Hauptweg. Danach entstand kurz ein peinliches Schweigen, weil wir wohl beide nicht wussten, wie wir uns voneinander verabschieden sollten.
Schließlich sagte Louis: „Danke für die Brote.“
Ich erwiderte: „Danke für die Rettung vor dem grünen Untier.“
Und das war das erste Mal seit Tagen, dass er – zumindest mit einem Mundwinkel – lächelte. Wie immer überließ er es mir, als erste nach Hause zu reiten, und als ich, langsamer als sonst, dahintrabte, kam ich nicht umhin, eine gewisse Niedergeschlagenheit in meinem Herzen zu diagnostizieren.
Mach dich nicht lächerlich, fuhr mich mein Verstand an. Du hast die üble Erntezeit überstanden! Muskelkaterlose, entspannte Schultage liegen vor dir! Du siehst deine Mädels wieder! Abendliche Treffen mit Corazon und Victoria! Ausritte mit Polly, Tetra und Atalante! Waldspaziergänge!
Ich atmete tief durch und hob den Kopf. Der immer noch sonnenwarme Wind blies mir mit einem plötzlichen Stoß die Haare aus dem Gesicht und die Traurigkeit aus dem Herzen. Jenseits des Waldes verschwand die Sonne als glutroter Ball hinter schwarzen Baumwipfeln und verwandelte den Himmel – nur kurz – in ein flammendes Meer, durch das sich Wolkenbänder wie leuchtende Gischtkämme zogen. Niemals hatte ich in der Stadt solche Sonnenuntergänge gesehen; der Himmel war dort stets eng gewesen, begrenzt durch die hohen Gebäude der Metropole. Obwohl ich nicht mit allem einverstanden war, liebte ich es, hier zu sein. Und ich gelobte, das nie zu vergessen. Alle trüben Gedanken in die hintersten Ecken meiner Seele verbannend trieb ich mit neu entfachter Lebenslust Hekate an und galoppierte zurück nach Themiskyra.
In den folgenden vier Wochen arbeitete ich in der Klinik, die, soweit ich das beurteilen konnte, nach dem neuesten Stand der Technik ausgestattet war und von Deianeira und Sevishta geführt wurde, zwei studierten Medizinerinnen. Aufgrund der gesunden Lebensweise der Amazonen war das kleine Krankenhaus kaum belegt, aber es wurden dort zwei ältere Frauen versorgt, die dauerhaft gepflegt werden mussten.
Anfangs erhielt ich eine Führung durch sämtliche Räume, von der Wachstation voll mit intensivmedizinischen Geräten und Monitoren bis zum Labor. Im Endeffekt verrichtete ich jedoch nur Hilfsdienste, half den alten Damen beim Essen, verabreichte ihnen die verschriebenen Medikamente und brachte sie zur Toilette. Die rundlichere von den beiden, Taminee, war dement und hielt mich für ihre Tochter. Nach einer Weile gab ich es einfach auf, sie eines Besseren zu belehren – das war für uns beide einfacher. Die andere, Philippa, war klapprig dürr und wusste zwar genau, was um sie herum geschah, sagte aber nicht viel und wenn doch, war es bösartig. Ich lernte, die Gemeinheiten der alten Amazone zu ignorieren, auch wenn es mich bisweilen außerordentlich gereizt hätte, sie zu erwidern.
Zu dieser Zeit begann ich, die Welt um mich mit anderen Augen, mit mehr Sinnen wahrzunehmen. Eines späten Nachmittages war ich nach dem Dienst alleine im Wald unterwegs. Es hatte mich danach gedrängt hatte, nach draußen zu kommen und der typischen Krankenhausluft zu entfliehen, die sich auch in Themiskyra in keinster Weise vom Geruch der städtischen Kliniken unterschied. Ziellos streifte ich umher, bis ich an die Gumpe kam, in der wir im Sommer mal mehr, mal weniger freiwillig gebadet hatten. Obwohl es schon kühl war, ließ ich mich entspannt ins Gras fallen und genoss die Ruhe abseits Themiskyras beständiger Geschäftigkeit.
Ich roch den würzigen Waldduft, fühlte das weiche Moos, Blätter und Tannennadeln unter meinen
Weitere Kostenlose Bücher