Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
entgegen, so als hätte er mich tatsächlich erst jetzt wahrgenommen. Vermutlich war er jedoch einfach überrascht, dass eine Amazone freiwillig mit ihm sprach.
„Ell, Juri. Juri, Ell“, stellte Louis uns unwillig vor.
Juri wandte sich mir ganz zu, zog einen imaginären Hut und deutete eine kleine Verbeugung an. „Ich bin hocherfreut. Wir hatten ja bereits vor geraumer Zeit im Wald das Vergnügen. Leider habe ich Euren Pfeil nicht ausfindig machen können.“
Überfordert mit so viel Höflichkeit nach all den eher zähen Gesprächen mit Louis nickte ich gemessen und brachte hervor: „Ich auch nicht. Leider.“ Nicht, dass ich noch danach gesucht hätte …
Louis sah so aus, als würde er sich unbehaglich fühlen. Er stopfte das Butterbrotpapier in seine Satteltaschen, seine Hände in die Hosentaschen und räusperte sich demonstrativ, so als wolle er jetzt gerne mit der Arbeit weitermachen.
Juri ignorierte ihn. „Und wie gefällt Euch die einfache Bauernarbeit, wertes Fräulein?“
„Oh, ausgesprochen gut.“ Ich konnte nicht verhindern, dass in meinen Worten eine gewisse Ironie mitschwang. „Es ist ein enorm interessantes Betätigungsfeld. Gestern noch Äpfel, heute schon Birnen – täglich neue Herausforderungen.“
„Nun, Ihr habt ja kompetente Hilfe, falls Ihr doch einmal überfordert sein solltet“, sagte Juri verbindlich und klopfte Louis anerkennend auf den Rücken, der eine gequälte Grimasse schnitt.
„Zweifelsohne“, stimmte ich zu.
„Wolltest du nicht Werkzeug holen?“, erinnerte Louis seinen Freund.
„In der Tat. Die verfluchte Erbsenerntemaschine – vergebt mir meine Ausdrucksweise. Sosehr ich es bedaure dieses Gespräch vorzeitig abzubrechen – Reparaturen von höchster Wichtigkeit verlangen meine Anwesenheit.“ Er stieg auf sein Pferd. „Die Begegnung mit Euch hat mir einmal mehr den Tag versüßt, Fräulein Ell.“
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, erwiderte ich höflich. Zumal ich es mir diesmal gelungen ist, mich nicht wieder mit peinlichen Kommentaren lächerlich zu machen.
Er ritt Richtung Themiskyra davon und Louis schüttelte den Kopf.
„Entschuldige.“
„Was denn?“
„Ihn.“
„Wieso? Er war doch ganz reizend.“ Ich steckte immer noch im Vokabular aus dem vergangenen Jahrtausend fest.
Er gab einen unverständlichen Laut von sich und machte sich auf den Weg Richtung Erntemaschine.
„Louis?“, fragte ich, übermütig geworden.
„Was.“
„Warum hattest du es denn so eilig, Juri wieder loszuwerden?“ Ich lief im Schweinsgalopp neben ihm her, um mit seinen großen Schritten mithalten zu können.
„Hatte ich doch nicht.“
„Doch. Du hast mit den Hufen gescharrt.“
„Unsinn.“
„Du wolltest lieber wieder mit mir allein sein, stimmt's?“ Das sagte ich nur aus Spaß, deswegen war ich auch nicht beleidigt, als Louis erneut knurrte:
„Unsinn.“
Ich musste lachen. „Seit wann ist er hier?“
„Juri? Er kam kurz nach dem Verfall nach Themiskyra.“
„Alleine?“ Inzwischen waren wir bei der Erntemaschine angekommen
„Er kommt ursprünglich aus Urba, siedelte aber nach dem Verfall in diese Gegend um. Sein Bruder und dessen Familie wohnen hier irgendwo in der Nähe. Aber denen wollte er nicht zur Last fallen, deswegen hat er hier angefangen.“
„Hast du Geschwister?“, fragte ich, ohne lang nachzudenken.
Falsche Frage. Sein Blick verdunkelte sich. „Nein“, erwiderte er schroff, sah weg und setzte einen Fuß auf die Leiter, um sich an den Aufstieg zu machen.
Ich seufzte innerlich und kraxelte auf meine Plattform. Als ich dort ankam, bemerkte ich, dass Louis immer noch unten stand und mich beobachtete. Allerdings ohne Groll, sondern hochkonzentriert. Ich begann, mich unbehaglich zu fühlen. Sein Blick glitt über mein Gesicht, wanderte über meinen Körper und gelangte schließlich wieder zum Ausgangspunkt, meinen Augen. Ich ignorierte das Gefühl dabei, das Ziehen in meiner Brust, nahe dem Herzen oder der Seele oder was auch immer dort sein mochte, und hob fragend die Augenbrauen. Das riss ihn aus seiner Betrachtung. Rasch kletterte er auf die Hebebühne und begann wieder mit der Arbeit.
Ich tat es ihm gleich, konnte mir aber ein gemurmeltes „Da frag ich mich schon, wer hier seltsam ist!“ nicht verkneifen.
Die Tage vergingen und als ich eines Abends am Wochenende im Bett lag, stellte ich fest, dass ich mich auf den nächsten Arbeitstag freute. Oder vielmehr, dass ich mich auf Louis freute.
Ach du lieber
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