Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
Händen, hörte das sanfte Rauschen in den Baumwipfeln und das Plätschern des Flusses, sah am Himmel vom Abendlicht rotgefärbte Wölkchen vorüberziehen. Ohne Vorwarnung verschob sich die Welt ein bisschen und rastete mit einem leisen Klick ein, das nur ich hören konnte. Oder ich rastete ein.
Alles war auf einmal ein bisschen anders. So, als hätte sich meine Weltsicht ein kleines bisschen weitergedreht, als könnte ich erst jetzt das wahre Grün des Grases und der Baumkronen in all seinen Nuancen sehen oder im Vogelgezwitscher Töne vernehmen, die vorher für mich im nichthörbaren Bereich gelegen hatten, so als könnte ich mich auf einmal als Teil eines größeren Ganzen sehen und meine genaue Position, meine Bedeutung, mein Sein darin.
All das trifft es nicht ganz und kann nur vage das Gefühl beschreiben, das fast wie eine Eingebung war, die mich zwar nicht schlauer gemacht hatte, aber vielleicht ein Stückchen dem näher gebracht hatte, was ich eigentlich war – und was ich in der Stadt nie lernen oder erfahren hatte können.
Mit der Zeit spürte ich Wetterveränderungen, bevor sie eintraten, ich konnte Wind und Wolken lesen, fühlte den ersten Schnee kommen, aber nicht auf Basis wissenschaftlicher Analyse von Wolkenbildern, sondern einfach aus dem Bauch heraus. Ich konnte mich mehr als zuvor auf mein Zeitgefühl verlassen, wusste, wann die Sonne auf- und der Mond unterging. Hatte ich anfangs noch Bedenken gehabt, ob ich nach meinen Waldausflügen wieder nach Hause finden würde, konnte ich mir nun sicher sein, dass ich die Orientierung nicht verlor, weil ich mich und meinen Standort wie auf einer Landkarte vor meinem geistigen Auge sah. Außerdem fühlte ich mich meinem Pferd näher, so, als wüsste ich immer, was Hekate von mir wollte, und sie, was ich von ihr erwartete. Auch in einer Herde von tausend schwarzen Pferden hätte ich sie inzwischen mühelos erkannt, und ich vertraute ihr mittlerweile so, dass ich zu üben begann, wie Polly ohne Sattel und nur mit einem Seil zu reiten, das lose um Hekates Hals lag. Und wenn wir durch den herbstlichen Wald galoppierten, verschmolzen wir zu einer Einheit, schnell, stark, lebendig und voller Energie, eine Wolke aus goldenem Laub hinter uns aufwirbelnd.
Polly konnte meine kleine Erleuchtung nicht nachvollziehen.
„Ich weiß genau, wann und wo ich bin!“, teilte ich ihr begeistert mit.
„Aha.“
„Ich bin mittendrin.“
„Hm.“
„Ich kann das Grün sehen!“
„Grün.“
„Nein, weißt du, es ist mehr als nur sehen. Ich kann es irgendwie fühlen.“
„Das Grün?“
„Ja!
„Na und?“
Wie ich es auch zu erklären versuchte, sie verstand einfach nicht, worauf ich hinauswollte oder was daran für mich besonders war. Ich weiß nicht, ob sie ohnehin von Geburt an erleuchtet war oder einfach keinen Sinn für so etwas hatte. Bei Atalante war es sogar noch schlimmer. Es war das zweite Mal, dass ich richtig sauer auf sie war, weil sie mich nur pseudointeressiert belächelte und gar nicht richtig zuhörte, als ich ihr von meinem Erlebnis erzählte. Also gab ich es bald auf, die Anderen für meinen neuentdeckten Zustand begeistern zu wollen.
Ihm verdankte ich jedoch, dass ich eines Morgens wenige Tage nach Yaztri, dem Herbstfest, mit einem bestimmten Gefühl aufwachte. Erst wusste ich nicht, was es war, aber dann erinnerte ich mich, wann ich es zuletzt verspürt hatte. Ich setzte mich mit Schwung auf und sagte feierlich zu meiner Schwester: „Ich glaube, ich habe heute Geburtstag.“
„Häääh?“ Sie lag noch im Bett und gab diesen unglaublich unintelligenten gedehnten Laut von sich, der mich schon öfter zur Weißglut gebracht hatte, sich bei den jüngeren Amazonen aber anscheinend derzeit großer Beliebtheit erfreute.
„Geburtstag!“ Ich rollte genervt die Augen und warf ihr mein Kissen ins Gesicht. „Ich. Heute.“
„Aha. Und?“ Polly stopfte sich mein Kissen in den Rücken, machte es sich bequem und schien unbeeindruckt. Das Prinzip Geburtstagsfeier war bei den Amazonen unbekannt, da sie alle traditionellerweise im Feuer- oder Honigmond gezeugt und dementsprechend zehn Monde später geboren wurden. Man hätte also zwei Monate durchfeiern können, was aber leider nicht getan wurde – wahrscheinlich, weil das System sonst zusammengebrochen wäre.
So oder so – ich war mir sicher, dass heute mein siebzehnter Geburtstag war und ich dachte nicht daran, ihn einfach so verstreichen zu lassen. Leider wusste hier nur außer meiner Mutter,
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