Themiskyra – Die Suche (Band 3) (German Edition)
überlief sie und mit einem Mal wich die Verlegenheitsröte, die unsere Anerkennung bei ihr hervorgerufen hatte, einer wächsernen Blässe. Ihre Augen waren geweitet, aber sie schien nichts von dem sehen zu können, was sie hier und jetzt umgab. Sie war irgendwo anders, wo Erinnerungen sie festhielten, die sie nicht abschütteln konnte. Und das kannte ich. Zu gut.
Ich nahm ihre Hand und drückte sie, um ihr in die Gegenwart zurückzuhelfen. „Lilja?“
Theresa legte ihr einen Arm um die Schulter und rüttelte sie sanft. „Jetzt ist doch alles in Ordnung. Gio hat dich zu uns geholt.“
Sein Name half mehr als mein Händedruck. Sie atmete tief durch und ihre Pupillen fixierten wieder die Stifte, die Fadenspulen, unsere Hände. „Ja. Gio. Ich weiß“, erwiderte sie. Rasch entzog sie ihre Hand der meinen, stand auf und sammelte fahrig ihre Malutensilien zusammen. „Ich muss … ich gehe nach oben.“
„Gute Nacht“, wünschte ich ihr. „Und danke.“
Aber sie hatte den Raum schon verlassen.
„Sie hat ganz schön was durchgemacht, oder?“, fragte ich teilnahmsvoll.
„Das kann man wohl sagen. Gio war lange Zeit der Einzige, dem es überhaupt gelungen ist, einen Zugang zu ihr zu finden. Sie war kaum sie selbst, als sie hier ankam …“ Theresa runzelte die Stirn, als sie daran dachte. „Aber jetzt ist ja alles gut.“
„Ist es das? Sie wirkt immer noch ziemlich … neben der Spur. Manchmal.“
„Es ist kein Vergleich zu früher.“
„Und …“ Ich wollte nicht zu indiskret sein, aber ich konnte meine Neugierde nicht bezähmen. „Wie kommt sie damit zurecht, wenn Gio seinen Pflichten gegenüber den Amazonen nachkommen muss?“
Theresas Gesicht verschloss sich. Zum ersten Mal sah sie beinahe unfreundlich aus. „Sie erträgt es. Wie wir alle.“
„Entschuldigung“, beeilte ich mich zu sagen, „ich hätte nicht fragen sollen.“
Sie machte eine knappe Handbewegung. „Du kannst nichts dafür. Niemand kann irgendetwas dafür. Keiner zwingt uns dazu, das zu werden, was wir sind. Wir wissen, worauf wir uns einlassen und dass wir für sie nie sein können, was ihr für sie seid.“
Die Bitterkeit in ihrer Stimme tat mir weh. „Was sind wir denn schon?“, fragte ich verzweifelt. „Deine Kinder lieben dich, sie alle, deine Söhne nicht weniger als deine Töchter. Unsere Söhne werden uns niemals lieben. Cesare reagierte vollkommen gleichgültig, als ich ihm vom Schicksal seiner leiblichen Mutter erzählte. Du bist die, die für ihn zählt. Ohne euch würde das System überhaupt nicht funktionieren, so krank es auch sein mag! Und Peleo … er sagt, du bist das Beste, was ihm je passiert ist. Du! Nicht Leonore. Und auch sonst niemand“, sprudelte es aus mir heraus.
Ein winziges Lächeln stahl sich in ihr Gesicht. „Wirklich? Und warum erzählt er das dir und nicht der Frau, die das eigentlich hören möchte?“ Sie räusperte sich. „Nun, jedenfalls, Gio versucht, es Lilja so leicht wie möglich zu machen. Deshalb haben sie noch nicht geheiratet. Er will ihr die Möglichkeit geben, sich noch umentscheiden zu können, falls sie mit dem Leben im Clan nicht fertig wird. Aber das wird sich wohl erst herausstellen, wenn er einen Sohn zeugt und sie ihrer Mutterrolle gerecht werden muss. Bislang hat er nur eine Tochter, da ist es einfacher.“
Unter Aufbietung all meiner mentalen Kräfte zwang ich meine Gedanken von der Überlegung weg, welche Mädchen in den letzten Jahren in Themiskyra geboren worden waren, welche davon als Gios Tochter in Frage kommen mochte. Es spielte keine Rolle. Es änderte nichts.
„Ich verstehe. Schätze ich.“
Sie klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. „Jetzt pack den Kram hier weg und geh ins Bett. Morgen musst du meinen dritten Sohn finden!“ Ihre Munterkeit klang ein bisschen aufgesetzt, aber ich wollte sie nicht weiter mit meiner Neugierde quälen, also räumte ich auf und ging ins Bett.
Doch ich fand Theresas dritten Sohn nicht, nicht am nächsten und auch nicht am übernächsten Tag. Ich zeigte Louis' Phantombild in jedem Geschäft her, klopfte an jeder Tür, ritt alle Außenposten ab, aber überall erntete ich nur bedauerndes Kopfschütteln. Die Woche darauf verbrachte ich fast komplett in den urwaldgleichen Flussauen selbst, suchte ein womöglich bereits seit Monaten verlassenes Lager. Aber auch, wenn Louis einmal dort gewesen sein mochte, hatte der Fluss alle Spuren mit sich genommen. Kilometerweit folgte ich seinen gewundenen Seitenarmen, streifte
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