Themiskyra – Die Suche (Band 3) (German Edition)
komme nach. Ist unauffälliger.“ In sowas hatte ich Übung.
„Stimmt. Dann …“, er stieß sich von der Wand ab und machte eine vage Handbewegung, „bis später. Oder so.“ Damit verließ er das Gartenhäuschen.
Unauffällig oder nicht – ich wäre ohnehin nicht imstande gewesen, der Familie in meiner momentanen Verfassung unter die Augen zu treten. Fest wischte ich mir mit dem Handrücken über die Lippen, als könne ich damit irgendetwas ungeschehen machen. Mein Gesicht brannte. Vor Scham und wegen Gios kratzigem Mehrtagebart. Ich dachte an Lilja und fühlte Übelkeit in mir aufsteigen. Ich dachte an Louis und fühlte mich schuldiger als je zuvor.
Gio hatte mich überrumpelt – zumindest empfand ich es so –, aber es war nicht so, als ob ich mich nicht hätte wehren können. Das Schlimme war, dass ich mich gar nicht hatte wehren wollen. Im Gegenteil, ich hatte seine Küsse genossen, seine Umarmung, das Gefühl, begehrt zu werden. Es ist so lange her …
Kein Grund, ohne Sinn und Verstand in der Gegend herumzuknutschen, wetterte mein Verstand.
Nein, und es wird auch nie wieder geschehen. Das schlechte Gewissen fraß mich auch so schon auf.
„Nichts ist passiert“, sagte ich laut zu mir selbst, als ob ich diese Wunschvorstellung dadurch fester in der Realität verankern könnte.
„ Was ist passiert?“, fragte Ces gutgelaunt, der plötzlich in der Tür stand und mich offensichtlich gehört hatte.
„Nichts“, wiederholte ich schlicht und bemühte mich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Da ich merkte, dass es mir nicht gelang, setzte ich hinzu: „Gio hat mich besiegt.“
Erst lachte er, freute sich stellvertretend für seinen Bruder über meine Niederlage, doch dann runzelte er die Stirn. „So sah er aber eben nicht aus, als er an mir vorbeimarschiert ist.“
„Vielleicht kann er sein Glück noch nicht fassen. Bei manchen Leuten wirkt überraschender Erfolg wie ein Schock.“ Es war mir unmöglich, den falschen Unterton aus meiner Stimme herauszuhalten.
Ich darf nicht lügen. Ich habe es versprochen. Also würde ich schweigen. Entschlossen stand ich auf, um den Schuppen zu verlassen. Ich hatte die Tür fast erreicht, da hielt Ces mich am Arm fest und betrachtete forschend mein Gesicht. Mit Mühe unterdrückte ich den Drang, seine Hand abzuschütteln und einfach wegzulaufen.
„Was ist?“ Ich versuchte ein Lächeln, aber es wurde eine Grimasse daraus.
Seine Augen verschmälerten sich, dann ließ er mich so ruckartig los, dass ich einen Schritt rückwärts stolperte. „Nein“, flüsterte er entgeistert, bevor er wütend ausrief: „Ich kann's einfach nicht glauben.“
Verdammt.
„Es gibt auch nichts zu glauben“, herrschte ich ihn an.
Er lachte voll Sarkasmus auf. „Das sehe ich. Denkst du auch mal an andere? Weißt du, was Lilja durchgemacht hat? Und du –“
Dass er mir ohne nachzufragen die gesamte Schuld zuschob, verletzte mich. „Nein, das weiß ich nicht, aber es war bestimmt schrecklich und ich bedauere es zutiefst, okay? Wie auch vieles andere“, schnappte ich, bereute meinen Tonfall jedoch bereits, als ich es aussprach. Ich rieb meine Stirn. „Ich habe keine Ahnung, was vorhin genau geschehen ist, aber es spielt keine Rolle, weil es nie wieder passieren wird. Und du wirst den Mund halten.“
Er schien meine Worte nicht registriert zu haben. „Wieso tust du das?“, fragte er fast verzweifelt. „Es bringt doch überhaupt nichts. Wieso willst du den, der nicht da ist? Oder den, den du nicht haben kannst? Wieso nicht …“ Seine Stimme verlor sich.
Dich? Einen Wimpernschlag lang frustrierte mich das alles so unendlich, war ich so unglaublich genervt und erschöpft von der ganzen Situation, dass ich es in Betracht zog, einfach mein Zeug zu packen und ein für alle Mal nach Themiskyra zurückzukehren. Doch das war unmöglich. Erst Louis finden, dann der Männerwelt für immer abschwören. Plan.
Er hob die Hand, um mein Gesicht zu berühren, und ich zuckte zurück. Das riss ihn aus seinem Selbstmitleid und sein Zorn loderte wieder auf.
„Oder ist das alles nur Jux und Tollerei für dich?“, fragte er eisig. „So weit kann es mit deiner angeblichen Zuneigung zu Louis wohl kaum her sein, Amazone.“
„Glaub, was du willst. Doch das tust du ja ohnehin“, blaffte ich, obwohl mir seine Worte wehtaten und ich gerne alles richtig gestellt hätte. „Und wag es nicht, Lilja irgendetwas zu erzählen. Sonst wirst du meine wahre Amazonenhaftigkeit noch zu spüren
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