Themiskyra – Die Suche (Band 3) (German Edition)
genau, denn ich starrte auf den Boden.
Es war mir vollkommen egal, dass ich verloren hatte.
Er ist nicht hier.
Gio nahm wieder Haltung an und hielt mir seine Hand hin, um mir aufzuhelfen, aber ich ignorierte sie. Ich wusste nicht, warum ich aufstehen sollte, weil ich nicht wusste, wohin ich gehen sollte.
„Na komm, sei nicht beleidigt“, sagte Gio, zog die Hand zurück und setzte sich neben mich, zwischen einen ausgeblichenen Sonnenschirm und einen Stapel alter Gartenstühle. „Du hast doch sonst immer gewonnen. Gönn mir doch den einen, kleinen Sieg!“ Er knuffte mir mit der Faust in den Oberarm, fester, als meiner Meinung nach nötig gewesen wäre.
„Was ist los?“, fragte er, da ich immer noch nicht reagierte. Dann nochmal, anders, ernster: „Was ist los?“ Offensichtlich hatte er begriffen, dass meine Stimmung nichts mit meiner Niederlage zu tun hatte. Er legte mir besorgt die Hand auf die Schulter. „Ell?“
Er ist nicht hier, dachte ich, aber das konnte Gio logischerweise nicht hören. Weil ich mal wieder ein Stadium erreicht hatte, in dem mir das Aussprechen von Worten schwer fiel, wandte ich mich ihm zu. Ich schätze, um ihm zu signalisieren, dass alles in Ordnung war, auch wenn das eine glatte Lüge war.
Ich schwöre, ich habe nichts anderes gemacht. Nur geschaut und versucht, die weitere Fehlzündung zu ignorieren, die mein Herz erlitt, als sich unsere Blicke trafen. Als ich in das vertraute, fremde Dunkel seiner Augen sah.
Ich war es nicht, die die erste Bewegung machte. Ich rückte keinen einzigen Millimeter näher an Gio heran. Ich bin mir sicher, dass ich meine Hände bei mir hatte.
Doch er behauptet dasselbe und ich weiß, dass er der festen Überzeugung ist, die Wahrheit zu sagen. Genau wie ich.
Im einen Moment saß ich einfach da, unfähig zu denken. Im nächsten fühlte ich seinen Arm, der mich fest an seinen Körper gedrückt hielt, seine Hand in meinen Haaren, seine fieberhaften Küsse auf meinen Lippen. Adrenalin und Elektrizität aus dem vorhergehenden Kampf schwappten über und eine atemlose Reihe von weiteren Momenten der zweiten Art mochte vergehen – ich konnte im Nachhinein nicht sagen, wie viel Zeit verstrich. Doch als sich mein Verstand plötzlich sirenenartig zurückmeldete und ich ruckartig in die Wirklichkeit zurück- und gleichzeitig von Gio wegsprang, fühlte ich, dass meine Lippen glühten.
Er war genauso entsetzt wie ich. „Was sollte das denn?“
„Keine Ahnung!“, gab ich außer mir zurück. Wenn er selbst nicht wusste, was eben über ihn gekommen war, wie sollte ich mich dann auskennen? Ich brachte noch mehr Sicherheitsabstand zwischen uns, indem ich zurückkrabbelte, bis ich an einen Liegestuhl stieß.
„Warum hast du das getan?!“, fuhr er mich an.
Ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen. „Ich??? Ich habe doch überhaupt nichts gemacht!“
„Doch, gerade eben … und die ganze Zeit schon … seit du hier angekommen bist!“, stammelte er wirr. Er schnellte hoch und sah sich gehetzt um. Zwischen dem Gartenhäuschen und dem Wohnhaus standen etliche Büsche und Bäume, mit Sicherheit hatte niemand etwas gesehen. Aber das machte es kaum besser.
„Stimmt doch gar nicht! Nichts habe ich gemacht. Weder jetzt noch sonstwann!“ Ich war nahe dran, in Tränen auszubrechen. „Ich habe dich kaum angesehen!“
„Doch, genau das hast du. Seit du hier bist, hast du mich so …“, er suchte hilflos nach Worten, „… angesehen.“
Ich kann ansehen, wen ich will, tobte mein Verstand. Kein Grund, einfach über mich herzufallen. Stattdessen sagte ich einfach das, was mein Herz mir soufflierte: „Ich habe aber nicht dich gesehen.“ Und, nach einer Pause: „Er ist nicht hier.“
Gio setzte zu einer hitzigen Erwiderung an, dann begriff er und klappte den Mund wieder zu. Langsam ging er ein paar Schritte hin und her und lehnte sich schließlich in maximal möglichem Abstand zu mir an die gegenüberliegende Wand. „Es tut mir leid.“ Er ließ offen, ob er bedauerte, dass ich seinen Bruder nicht finden konnte oder dass er meine Blicke fehlinterpretiert hatte.
„Mir auch.“ Und wie.
„Okay.“ Er atmete tief durch. „Wir vergessen einfach, was geschehen ist. Komplett. Wir haben gekämpft, danach haben sich unsere Wege sofort getrennt. Nichts ist passiert.“
„Überhaupt nichts“, bestätigte ich tonlos.
Wir starrten uns mit einer seltsamen Mischung aus Misstrauen und Verlegenheit an.
„Na dann los.“ Ich nickte in Richtung Baumhaus. „Ich
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