Theo Boone und der unsichtbare Zeuge
Hypothek?«
» So ein Geschäft nennt sich Hypothek. Die Bank hat Anspruch auf das Haus, bis das Darlehen abbezahlt ist. Wenn du mit deinen monatlichen Raten im Rückstand bist, kann sich die Bank dafür das Haus nehmen. Die Bank wirft dich raus und behält das Haus. Das ist eine Zwangsvollstreckung.« Er legte das Schulbuch auf das Heft, von dem nun nichts mehr zu sehen war.
» Meine Mutter hat geweint, als sie darüber geredet haben, dass wir ausziehen müssen. Wir wohnen seit meiner Geburt in dem Haus.«
Theo klappte seinen Laptop auf und schaltete ihn ein. » Das ist furchtbar«, sagte er. » Im Augenblick passiert so etwas ständig.«
Sandy ließ verzweifelt den Kopf hängen.
» Wie heißt dein Vater?«
» Thomas. Thomas Coe.«
» Und deine Mutter?«
» Evelyn.«
Theo drosch auf die Tastatur ein. » Eure Adresse?«
» Bennington 814.«
Theo tippte weiter.
» O je«, sagte er nach einer Weile.
» Was ist?«
» Die Bank ist die Security Trust in der Main Street. Vor vierzehn Jahren haben deine Eltern eine Hypothek über Hundertzwanzigtausend mit einer Laufzeit von dreißig Jahren aufgenommen. Seit vier Monaten zahlen sie nichts mehr zurück.«
» Seit vier Monaten?«
» Ja.«
» Und das steht alles im Internet?«
» Ja, aber da kommt nicht jeder ran.«
» Wie machst du das?«
» Ich habe so meine Mittel und Wege. Viele Kanzleien bezahlen dafür, dass sie Zugriff auf bestimmte Daten bekommen. Ich weiß eben, wo ich suchen muss.«
Sandy sank auf seinem Stuhl zusammen und schüttelte den Kopf. » Dann verlieren wir das Haus?«
» Nicht unbedingt.«
» Was soll das heißen? Mein Dad ist arbeitslos.«
» Es gibt eine Möglichkeit, die Zwangsvollstreckung zu verhindern und die Bank hinzuhalten. Dann könnt ihr das Haus noch eine Weile behalten, und dein Dad findet vielleicht inzwischen Arbeit.«
Sandys Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
» Hast du schon mal was von Insolvenz gehört?«, fragte Theo.
» Schon, aber ich habe keine Ahnung, was das heißt.«
» Es ist eure einzige Chance. Deine Eltern müssen Gläubigerschutz beantragen. Dazu müssen sie einen Rechtsanwalt beauftragen, der für sie den Antrag beim Insolvenzgericht einreicht.«
» Was kostet so ein Anwalt?«
» Das ist im Moment zweitrangig. Wichtig ist, dass ihr zu einem Anwalt geht.«
» Kannst du das nicht machen?«
» Leider nicht. Und meine Eltern sind keine Insolvenzanwälte. Aber ihr könnt euch an Steve Mozingo wenden, der hat seine Kanzlei nur zwei Häuser weiter und ist sehr gut. Meine Eltern schicken ihm auch Mandanten. Sie halten viel von ihm.«
Sandy schrieb sich den Namen auf. » Und du meinst, wir können unser Haus vielleicht behalten?«
» Ja, aber nur, wenn deine Eltern so schnell wie möglich mit dem Mann reden.«
» Danke, Theo. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
» Keine Ursache. Freut mich, wenn ich behilflich sein konnte.«
Sandy flitzte durch die Tür, als wollte er den ganzen Weg nach Hause rennen, um die gute Nachricht zu überbringen. Theo sah ihm nach, als er sich aufs Rad schwang und über den Parkplatz davonfuhr.
Wieder ein zufriedener Mandant.
Vier
Um 16.45 Uhr kam Mrs. Boone mit einem Ordner in der einen und einem Dokument in der anderen Hand in Theos Büro.
» Theo«, sagte sie über ihre Lesebrille hinweg. » Kannst du schnell zum Familiengericht fahren und das hier noch vor fünf abgeben?«
» Klar, Mom.«
Theo war schon aufgesprungen und griff nach seinem Rucksack. Er hatte gehofft, dass in irgendeiner Ecke der Kanzlei ein Antrag auftauchen würde, der bei Gericht eingereicht werden musste.
» Du bist doch fertig mit den Hausaufgaben?«
» Ja, wir hatten nicht viel auf.«
» Gut. Heute ist Montag, vergiss nicht, Ike zu besuchen. Ihm ist das sehr wichtig.«
Jeden Montag wurde Theo von seiner Mutter daran erinnert, dass Montag war. Das bedeutete zweierlei: erstens, dass Theo mindestens eine halbe Stunde bei Ike verbringen musste, und zweitens, dass sie im Robilio, einem italienischen Restaurant, zu Abend essen würden. Wobei Robilio deutlich angenehmer war als Ike.
» Geht klar«, sagte er und verstaute die Dokumente in seinem Rucksack. » Wir sehen uns im Robilio.«
» Ja, Schatz, um sieben.«
» In Ordnung«, erwiderte er und öffnete die Hintertür. Judge tröstete er damit, dass er bald wieder da sein würde.
Sie aßen immer um sieben zu Abend. Wenn sie zu Hause blieben, was nur selten vorkam, weil seine Mutter nicht gern kochte, aßen sie um sieben. Wenn sie
Weitere Kostenlose Bücher