Theo Boone - Unter Verdacht: Band 3 (Heyne fliegt) (German Edition)
die anständigen Leute um ihn herum reagieren würden, wenn der » liebe kleine Theo Boone« verhaftet und vor Gericht gestellt wurde. Und was würden sie denken, wenn er nicht mehr in die Kirche kommen konnte, weil er in einer Jugendstrafanstalt einsaß?
Die Vorstellung war unerträglich. Theo versuchte erneut, sich auf die Predigt zu konzentrieren, aber seine Gedanken überschlugen sich. Er rutschte unruhig hin und her, bis ihm seine Mutter mahnend das Knie tätschelte. Immer wieder sah er auf die Uhr, deren Zeiger sich nicht von der Stelle zu rühren schienen.
Es war der zweite Sonntag des Monats, das schlug den Boones auf die Stimmung. Am zweiten Sonntag im Monat gingen Theo und seine Eltern von der Kirche nicht wie sonst direkt nach Hause, um belegte Brote zu Mittag zu essen, die Sonntagszeitungen zu lesen, eine Sportsendung anzusehen und sich überhaupt einen erholsamen Tag zu gönnen. Leider nicht. Am zweiten Sonntag im Monat war ein Ritual einzuhalten, das Theo so zuwider war, dass er sich deswegen schon heftig mit seinen Eltern gestritten hatte. Die Boones und drei andere Familien luden am zweiten Sonntag des Monats abwechselnd zum Brunch ein, was bedeutete, dass Theo während einer endlosen Mahlzeit mit einem Haufen Erwachsener am Tisch saß, die sich über Themen unterhielten, die Theo nicht im Geringsten interessierten. Theos Eltern hatten ihn relativ spät bekommen, sodass er dort immer mit Abstand der jüngste Gast war.
Der Älteste war ein Richter im Ruhestand namens Kermit Lusk, der auch Gemeindeältester war, ein kluger, humorvoller Mann. Er und seine Frau gingen auf die achtzig zu, die Kinder waren längst aus dem Haus. Diesmal fand der Brunch bei ihnen statt, in ihrem engen, vollgestopften alten Haus, das dringend eine Reinigung mit dem Sandstrahlgebläse brauchte– fand zumindest Theo. Allerdings war seine Meinung während dieser furchtbaren Mahlzeiten nicht sehr gefragt.
» Wie hat dir die Predigt gefallen, Theo?«, fragte Mr. Boone im Auto, wie jeden Sonntag.
» Die war stinklangweilig, und das weißt du auch.« Theo war bereits auf hundertachtzig. » Ich bin zweimal eingeschlafen.«
» Er hat schon besser gepredigt«, stimmte Mrs. Boone zu.
Schweigend fuhren sie zu den Lusks, wobei sich die Anspannung mit jedem Kilometer verstärkte.
» Ich bleibe im Auto«, sagte Theo, als sie am Straßenrand parkten. » Ich habe keinen Hunger.«
» Steig aus, Theo«, befahl sein Vater streng.
Theo knallte die Tür zu und folgte seinen Eltern ins Haus. Er hasste diese Besuche, und das wussten seine Eltern. Glücklicherweise spürte Theo bei seiner Mutter eine gewisse Schwäche, vielleicht eine Spur von Mitgefühl. Sie wusste, wie elend er sich fühlte, und verstand, warum.
Drinnen setzte Theo ein falsches Lächeln auf, das seine Zahnspange zeigte, und begrüßte Mr. und Mrs. Garbowski, ein nettes Ehepaar, etwa im Alter von Theos Eltern. Ihr sechzehnjähriger Sohn Phil hatte damit gedroht, von zu Hause wegzulaufen, falls seine Eltern ihn zwangen, zu den Brunchrunden am zweiten Sonntag des Monats zu gehen. Die Garbowskis waren eingeknickt, und Phil wohnte immer noch zu Hause. Theo bewunderte ihn sehr und überlegte, ob er dieselbe Strategie verfolgen sollte. Dann begrüßte er Mr. und Mrs. Salmon. Ihm gehörte ein Sägewerk, sie unterrichtete am College. Sie hatten drei Kinder, die alle älter waren als Theo. Keines davon war anwesend.
Na prima, dachte Theo. Acht Erwachsene und ich.
Da nichts den Appetit so anregt, wie in der Kirche zu sitzen und auf das Mittagessen zu warten, nahm die Gruppe bald am Esstisch Platz. Richter Lusk sprach ein kurzes Dankgebet, und die Haushälterin erschien mit dem ersten Gang, einem Salat. Einem Salat ohne alles, wie Theo feststellen musste. Dressing war doch wohl nicht zu teuer? Wo war die Salatsoße? Da er Hunger hatte, griff er trotzdem zu.
» Wie fanden Sie die Predigt?«, fragte Richter Lusk. Da alle vier Familien dieselbe Kirche besuchten, wurde üblicherweise zuerst die Predigt besprochen.
Na bravo, dachte Theo. Es reicht nicht aus, dass ich alles live und in Farbe miterlebt habe, jetzt werde ich noch weiter damit gequält.
Wie schlecht eine Predigt auch gewesen sein mochte, beim Brunch wurde sie nur gelobt. Selbst Pastor Pat hatte begeisterte Kritiken erhalten, trotz einiger Bemerkungen wie » Vielleicht hätte es eine Viertelstunde weniger auch getan«.
Der zweite Gang bestand aus Backhähnchen mit Soße und war einfach köstlich. Theo, der unter dem
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