Theo
aufhörst, dann wirst du …) Das macht Spaß. Es gibt nichts Harmloseres als eine unendliche Serie gleichlautender Drohungen.
Theo hat den zivilen Ungehorsam entdeckt. Er will seine Grenzen spüren. So weit kommt er leider nie. Da sind die Pädagogen immer schon früher an ihren eigenen Grenzen angelangt. Sie hören sich Phrasen dreschen, die sie sich vor Theos Geburt niemals zugetraut hätten. (»Na wird’s bald!«, »Brauchst du eine Sondereinladung?«, »Jetzt schlägt’s aber dreizehn!«)
Irgendwann zucken sie aus, funkeln ihn an, werden laut, werden rot im Gesicht, nehmen ihm harmlose Schlaggegenstände wie ausgebeulte Suppenlöffel oder flachgequetschte Bananen weg, bauen brutal seine aufwendig errichteten Geräuschkulissen ab oder schickenihn gar überhaupt gnadenlos ins Bett. Unerfreulichkeiten dieser Art muss er in Kauf nehmen. Schlimmeres kann ihm zum Glück nicht passieren. Sie lieben ihn doch alle. Und er mag sie ja auch ganz gern, mit all ihren Schwächen. Sie glauben halt manchmal, auf seine Kosten »konsequent« sein zu müssen.
Aber wo waren wir? Ah ja, bei der »schweren Geburt«. Theo trägt zu dieser Geschichte nichts bei. Er spielt lieber mit seinem 86. Lastkraftwagen. Dazu macht er Geräusche des täglichen Lebens auf vier Reifen: »Dschdschdsch« (Straßenlage). Und: »Wrum-wrum« (Motor). Und: »Ihihihi« (Bremsen). Und: »Wamm-ramm-phrrrrrrrr!« (Massenkarambolage, überall Trümmer, Bücherregal entleert, Kleiderschrank entstellt, Teppich verwüstet – Bilder des Grauens.)
»Was soll ich schreiben, Theo?« – »Ich weiß nicht, dschdschdsch«, sagt er. »Wenn du mir nichts erzählst, kann ich nichts schreiben, Theo.« – »Schreib einfach was Lustiges, wrum-wrum!« – »Erzähl mir was Lustiges, Theo!« – »Schreib, was du schon einmal geschrieben hast, ihihihi.« – »Das kennen die Leute ja schon, Theo.« – »Aber nicht alle, wamm-ramm-phrrrrrr!« – Da hat er recht. Er wird vermutlich einmal Schriftsteller. Nein, Fernfahrer. »Ich bin der Fahrer, du bist der Container«, sagt er. Verstehen Sie langsam die Rollenaufteilung?
Es ist jammerschade, dass er nichts erzählt. Denn er hat im letzten Jahr so viel wie noch nie erlebt und zum Teil herausragende Leistungen vollbracht. Zum Beispielkann er bereits Blockflöte spielen. »Aber nur Apfel, Citrone, Dach und Gustav«, schränkt er ein.
Im März hat er in Salzburg Ski fahren gelernt, berichten seine Eltern. »Wahnsinn, Theo, hat’s dir gefallen?« – »Ja«, murmelt er und setzt eines seiner 34 künstlichen Lächeln auf. (Jenes mit der angelhakenförmigen Falte unter der linken Wange.) Im Sommer hat er in Italien schwimmen gelernt. »Toll, Theo, und wie war das?« – »Weiß ich nicht mehr«, erwidert er. »Ist schon zu lange her.« Im Herbst war er bei einer Harley-Davidson-Ausstellung. – »Super, Theo, und war das toll?« – »Na sicher«, erwidert er gereizt. Wandern, Rad fahren, Boot fahren, Auto fahren, basteln, zeichnen, Finger mit dem Superkleber zusammenpicken, lesen, rechnen: alles kein Problem mehr für ihn, aber keines davon ein Thema. »Ich weiß, wie man ›Oma‹ schreibt«, sagt er in einer Minute des Erbarmens. »Ehrlich, Theo, wie denn?« – »Ein O, ein M und ein A«, erwidert er. »Ganz toll, Theo!« – Er taut auf.
»Ich weiß etwas Lustiges«, rückt Theo heraus. »Ich kenne einen Fliesenleger, der heißt Stanislaus.« (Pause) »Aber ich weiß nicht, ob er ein Fliesenleger ist.« – Nicht schlecht, kann man zitieren! Theo fährt fort, erstens mit dem Lastwagen, da kommt er aber gleich wieder zurück. Zweitens: »Ich kenne einen Philipp Brille. Aber er heißt gar nicht Brille.« (Das könnte eine Serie werden.)»Vielleicht hat er eine Brille, Theo.« (War doch ein kluger Einwurf, oder?) »Nein«, meint Theo. »›Philipp Brille‹ sagt die Heidi nur einfach so.« – Heidiist noch immer seine Lieblingskindergartentante. Das war eine gute Überleitung.
Ja, Theo geht eindeutig in den Kindergarten. Er verwendet die Wörter »voll«, »ur«, und »super« voll oft und ursuper unpassend. Er boxt ferner grundlos auf jede erreichbare Erwachsenen-Schulter. Erwidert der Geboxte: »Nicht, Theo, das tut ja weh!«, lässt er durch ein schmutziges Grinsen erkennen, dass das sein Ziel war.
»Wie gefällt es dir denn im Kindergarten, Theo?« – Er setzt eines seiner 34 gelangweilten Gesichter auf. (Jenes mit dem dreischichtig gerümpften linken Nasenflügel.) Diese Frage stellt einem heute also auch schon
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