Theo
wirklich jeder. Klar gefällt es ihm gut, sonst würde er nicht hingehen. (Die nächste Frage lautet dann meistens: »Und freust du dich schon auf die Schule?« – Hilfe, bitte nicht!)
Seine Kindergartenfreunde heißen Philipp (Brille?), Raffael und Christof. Sie haben einen gemeinsamen großen Nachteil. »Sie spielen immer Räuber und Polizei«, sagt Theo. »Ich will aber nicht Räuber und Polizei spielen«, sagt er weinerlich. »Warum nicht, Theo?« – »Die drei sind immer die Polizei, und ich muss immer der Räuber sein«, klagt er. (Klingt zwar tragisch, könnte aber einmal einen hervorragenden Milderungsgrund vor Gericht darstellen.)
»Ich spiele lieber mit dem Laurenz Feuerwehr«, sagt er. Das klingt vernünftig. Jetzt strahlen seine blauen Augen.»Und wie geht das Spiel, Theo?« – »Der Laurenzmacht das Feuer, und ich lösche es. Dann mach’ ich das Feuer, und der Laurenz löscht es. Dann macht der Laurenz das Feuer, und …« – »Ich glaub’, ich hab’s verstanden, Theo.« – »Und ich lösche es, und dann mach’ ich das Feuer …« – »Ein tolles Spiel, Theo!« (Auch das könnte einmal einen hervorragenden Milderungsgrund vor Gericht darstellen.)
Wozu Theo praktisch immer etwas zu sagen hat: zum Essen. Bietet man ihm etwas an, sagt er: »Nein.« Sagt man: »Theo, das ist nicht für dich«, erwidert er: »Oh ja!« Ist es salzig, rückt es zur Seite. Ist es süß, ist es gegessen. Im Restaurant studiert er nicht die Speisekarte, sondern die Menschen, die diese studieren. (Nie sieht er konzentriertere Blicke von Erwachsenen; so viel Andacht sollten sie ihm einmal zuteilwerden lassen.) Klappen sie die Karte endlich zu, fragt er, schon ein bisschen gekränkt: »So, und was soll ich jetzt essen?«
Sein Vertrauen in Küchen, deren Köche er nicht persönlich eingeschult hat, ist leicht zu erschüttern. Im Hotelrestaurant Schweighofer in Friedersbach im Waldviertel (fragen Sie nicht, wo genau das ist; wir haben für Theo einen ruhigen Speiseort abseits des Hauptdurchzugsverkehrs gesucht, damit er sich Auto-Imitations-Geräusche sparen kann) fragt er mich besorgt: »Onkel Dani, was isst du da?« – »Hirsch, Theo.« Er beugt sich über meinen Teller und behauptet: »Nein, das ist kein Hirsch.« – »Doch, ehrlich, Theo.« – »Hirsche sind größer«, meint er. – »Es ist ja auch kein ganzer Hirsch, nur ein Stück davon, Theo.« – »Der Hirschist tot, stimmt’s?«, fragt er nach eingehender Beobachtung moralinsauer. – »Richtig, Theo.« Nur jetzt keine Ethik-Diskussion! Er beugt sich noch einmal über den Teller, konzentriert sich auf den Braten und sagt: »Das ist kein Hirsch!« – »Und wie das ein Hirsch ist, Theo!« – »Ein Hirsch hat ein Geweih«, sagt er. – »Dieser nicht mehr, Theo.«
Er lebt für den Fußball
Theo ist sechs –
und trägt die Nummer 6 von Mauerbach
Theo ist reif. Er ist jetzt sechsmal älter als ein Säugling, dreimal so alt wie ein Baby und doppelt so alt wie ein Kleinkind. Kurzum: Er ist reif. Schulreif? Nein, reifer: Er steigt erst nächste Herbstsaison in den Unterricht ein und macht sich heuer ein schönes gemütliches Vorschuljahr, ganz im Zeichen des F… (Moment noch!)
Das Erfreuliche aus der Sicht des Autors: Man kann mit Theo reden wie mit einem Erwachsenen. Er hört zu wie ein Erwachsener. (Mit einem halben, abgewandten Ohr.) Er hört weg wie ein Erwachsener. (Mit eineinhalb zugewandten Ohren.) Er schweigt wie ein Erwachsener. (Am liebsten, wenn er gefragt wird.) Er runzelt die Stirn wie ein Erwachsener. Er leidet darunter, dass ihn neuerdings Gott und die Welt zum Dialog auffordern. Manchmal erbarmt er sich und spricht ein paar Worte.
Unlängst frage ich: »Theo, weißt du schon, was du einmal werden willst?« Er sagt: »Nein. Du?« Ich erwidere: »Ich muss es nicht wissen. Ich bin schon was.« In seinem schiefen Blick sind Anflüge von Respekt erkennbar. »Was bist du?«, fragt er. »Ein Schreiber«, erwidere ich. – »Ah so.« Er seufzt lautlos und blinzelt mir aufmunternd zu. »Ich bin auch schon was«, sagt er dann.Der Satz kommt eher nebensächlich daher, Theo will mich nicht verletzen. »Was denn?«, frage ich. »Fußballer«, erwidert er. Er sagt es so bescheiden wie möglich.
So. Jetzt ist endlich jenes Wort gefallen, ohne das diese Geschichte exakt an dieser Stelle beendet wäre. Der Fußball ist im Frühjahr 2000 in Theos Leben gerollt, mit einer Dynamik und einem Drall, die alle anderen Themen vermutlich über Jahre hinaus
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