Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
ihr Recht auf keinen Sterblichen, sondern nur auf Gott zu übertragen, und Alle versprachen, ohne viel zu zögern, laut, dass sie Gott in allen seinen Befehlen unbedingt gehorchen und kein anderes Recht anerkennen wollten, als was er durch die Offenbarung der Propheten als solches verkünde. Dieses Versprechen oder diese Rechtsübertragung auf Gott ist ebenso geschehen, wie ich sie oben für eine gemeinsame Gesellschaft dann angenommen habe, wenn die Einzelnen ihres natürlichen Rechtes sich entäussern wollen. Denn sie haben ausdrücklich durch Vertrag (Exod. XXIV. 7) und Eid ihr natürliches Recht freiwillig und ohne Zwang und Furcht vor Drohungen abgetreten und auf Gott übertragen; und damit der Vertrag genehmigt und fest bleibe und frei vom Verdacht des Betruges, hat Gott nichts eher mit ihnen ausgemacht, als bis sie seine wunderbare Macht erfahren hatten, die allein sie gerettet hatte, und die allein in Zukunft sie erhalten konnte (Exod. XIX. 4, 5). Denn deshalb, weil sie glaubten, dass nur Gottes Macht sie erhalten könne, übertrugen sie ihre ganze natürliche Macht, sich zu erhalten, die sie selbst zu haben früher geglaubt haben mochten, auf Gott, und folglich auch all ihr Recht. Den Staat der Juden erhielt deshalb Gott allein aufrecht, und vermöge des Vertrages wurde er deshalb allein mit Recht der Staat Gottes genannt und Gott mit Recht der König der Juden. Deshalb waren die Feinde dieses Staates die Feinde Gottes, und wer die Herrschaft sich anmassen wollte, hatte die göttliche Majestät verletzt, und die Gerechtsame des Reiches waren die Rechte und Befehle Gottes. Deshalb waren in diesem Staate das bürgerliche, Recht und die Religion, die, wie gezeigt, nur im Gehorsam gegen Gott besteht, ein und dasselbe; d.h. die Sätze der Religion waren keine Sittenlehren, sondern Recht und Verordnungen; die Frömmigkeit war Gerechtigkeit, die Gottlosigkeit galt als Verbrechen und Ungerechtigkeit. Wer von der Religion abfiel, war kein Bürger mehr und galt deshalb allein als Feind, und wer für die Religion in den Tod ging, galt, als hätte er sich für das Vaterland geopfert; überhaupt waren das bürgerliche Recht und die Religion nicht verschieden. Deshalb konnte dieser Staat eine Theokratie genannt werden; denn für seine Bürger galt kein anderes Recht, als was Gott offenbart hatte. Dies Alles beruhte indess mehr auf Glauben als auf Wirklichkeit; denn die Juden hatten in Wahrheit das Recht der Herrschaft unbedingt behalten, wie das Folgende, nämlich die Art und Weise, wie dieser Staat verwaltet wurde, ergeben wird, und wie ich hier darlegen will.
Da die Juden ihr Recht auf Niemand anders übertrugen, sondern Alle, wie in der Demokratie, ihres Rechts sich in gleicher Weise begaben und einmüthig ausriefen: »was Gott spricht, wollen wir thun« (ohne Nennung eines Vermittlers), so folgt, dass Alle nach diesem Vertrag gleich geblieben sind, und Alle das gleiche Recht gehabt haben, Gott zu befragen, seine Gesetze zu empfangen und auszulegen. Deshalb traten Alle in gleicher Weise unmittelbar Gott an, um seinen Befehl zu hören; aber bei dieser ersten Begrüssung erschraken sie sehr und hörten die Worte Gottes mit solchem Erstaunen, dass sie ihr Ende nahe glaubten. Voller Furcht gingen sie also Moses an und baten: »Siehe, wir haben Gott vernommen, wie er aus dem Feuer sprach, und es ist kein Grund, dass wir sterben möchten; dieses grosse Feuer wird uns sicher verzehren; wenn wir Gottes Stimme noch einmal vernehmen sollten, werden wir sicher sterben. Gehe also Du und höre Alles, was unser Gott sagt, und Du (also nicht Gott) wirst zu uns sprechen. Allem, was Gott Dir sagen wird, werden wir gehorchen und es vollbringen.« Damit hoben sie deutlich den ersten Vertrag auf und übertrugen ihr Recht, Gott zu befragen und seine Gebote zu erklären, unbedingt auf Moses. Denn sie versprachen hier nicht wie vorher, Allem, was Gott ihnen, sondern was Gott dem Moses sagen werde, zu gehorchen (Deut. V. hinter den zehn Geboten und XIII. 15, 16). Moses blieb also der alleinige Geber und Ausleger der göttlichen Gesetze und daher auch der höchste Richter, über den Niemand Recht sprechen konnte, und der allein bei den Juden die Stelle Gottes, d.h. die höchste Majestät vertrat, da er allein das Recht hatte, Gott zu befragen und dem Volke die göttlichen Antworten mitzutheilen und es zu deren Ausführung zu zwingen. Ich sage: Moses allein; denn wenn ein Anderer bei Lebzeiten Mosis im Namen Gottes etwas predigen wollte,
Weitere Kostenlose Bücher