Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
dem Volke Alles bewilligten, um es an sich zu ziehen; sie billigten die Handlungen der Menge, selbst wenn sie gottlos waren, und bequemten die Bibel ihren schlechten Sitten an. Malachias bezeugt dies ausdrücklich; nachdem er die Priester seiner Zeit gescholten und Verächter des Namens Gottes genannt hat, fährt er in seiner Züchtigung so fort: »Die Lippen des Hohenpriesters sind die Wächter der Wissenschaft, und das Gesetz wird aus ihrem Munde verlangt, weil sie Abgesandte Gottes sind; Ihr aber seid vom Wege abgewichen und habt das Gesetz zu einem Schaden für Viele gemacht; Ihr habt den Vertrag Levi gebrochen, sagt der Gott der Heerschaaren.« So fährt er fort, sie anzuklagen, dass sie die Gesetze willkürlich auslegten und nur auf die Personen, aber nicht auf Gott achteten. Es ist gewiss, dass die Hohenpriester dies nie so vorsichtig ausführen konnten, dass nicht die Klügeren es bemerkt hätten. Deshalb behaupteten diese mit zunehmender Kühnheit, dass nur die geschriebenen Gesetze befolgt zu werden brauchten, und dass die Beschlüsse, welche die getäuschten Pharisäer, die nach des Josephus Alterthümer meist aus niedrigem Volke bestanden, die Ueberlieferung der Väter nannten, nicht befolgt zu werden brauchten. Wie dem auch sei, so ist gewiss, dass die Schmeichelei der Hohenpriester, die Verderbniss der Religion und Gesetze und das unglaubliche Anwachsen dieser Uebel viel und häufig Anlass zu Zank und Streit gegeben haben, welcher nicht beigelegt werden konnte. Denn wenn die Menschen in der Hitze des Aberglaubens und die eine Seite unter Beistand der Obrigkeit zu streiten beginnen, so ist die Beruhigung unmöglich und die Spaltung in Sekten unvermeidlich.
Zweitens ist es merkwürdig, dass die Propheten, also einzelne Menschen, durch ihr freies Tadeln, Schelten und ihre Vorhaltungen die Menschen mehr erbittert als gebessert haben; da sie doch, wenn die Könige sie ermahnten oder züchtigten, leicht nachgaben. Die Propheten wurden selbst frommen Königen unerträglich wegen ihrer Macht, mit der sie über Alles urtheilten, ob es mit Recht oder unrecht geschehen sei, und selbst die Könige züchtigten, wenn sie bei einem öffentlichen oder privaten Unternehmen gegen ihren Ausspruch beharrten. Der König Asa, welcher nach dem Zeugniss der Bibel fromm regiert hat, schickte den Propheten Ananias zu einem Bäcker (2. Chronik XVI.), weil Ananias ihn wegen eines mit dem König von Armenien geschlossenen Vertrages offen zu tadeln und zu schelten wagte. Auch sonst findet man Beispiele, welche zeigen, dass die Religion von dieser Freiheit mehr Schaden als Vortheil gehabt hat, wobei ich gar nicht erwähnen will, dass aus diesen Aussprüchen der Propheten grosse Kriege entstanden sind.
Drittens ist auch bemerkenswerth, dass in der Zeit, wo das Volk die Herrschaft hatte, nur ein Bürgerkrieg stattgefunden hat, der aber völlig gestillt wurde, und bei dem die Sieger die Besiegten so mild behandelten, dass sie dieselben in deren alte Würden und Macht wieder einsetzten. Als aber das Volk, was an Könige nicht gewöhnt war, die erste Verfassung in eine Monarchie umänderte, nahmen die Bürgerkriege kein Ende, und die Schlachten wurden so grausam, dass es allen Glauben übersteigt; denn in einer Schlacht sind, was beinahe unglaublich ist, 50,000 Israeliten von den Juden getödtet worden, und in einem anderen tödteten die Israeliten viele Juden, deren Anzahl die Bibel nicht angiebt, nahmen den König gefangen, zerstörten die Mauern von Jerusalem, beraubten selbst den Tempel, um ihren maasslosen Zorn zu bekunden, und legten erst die Waffen nieder, als sie, beladen mit einer ungeheuren, ihren Brüdern abgenommenen Beute, gesättigt im Blute, nach Empfang von Geisseln, dem Könige nur ein ganz verwüstetes Land gelassen hatten, wobei sie nicht auf die Treue, sondern auf die Ohnmacht der Juden sich verliessen. Denn nach wenigen Jahren begann, als die Juden sich etwas erholt hatten, ein neuer Kampf, in dem die Israeliten wieder Sieger blieben; da schlachteten sie 120,000 Juden, führten über 200,000 Weiber und Kinder als Gefangene fort und machten nochmals grosse Beute. Durch solche und andere Kämpfe, die in der Geschichte nur kurz erwähnt sind, erschöpft, wurden die Juden zuletzt die Beute ihrer Feinde. - Selbst wenn man die Zeiten des tiefen Friedens betrachtet, zeigt sich ein grosser Unterschied gegen die Zeit vor den Königen, wo sie oft 40 Jahre, und einmal, was kaum glaublich ist, 80 Jahre ohne äusseren
Weitere Kostenlose Bücher