Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
offenbarte Religion nicht gehört; folglich können auch die Menschen darin, ohne ein Verbrechen zu begehen, in grossem Maasse irren.
Hiernach kann es nicht auffallen, dass Gott sich den Einbildungen und vorgefassten Meinungen der Propheten anbequemt hat, und dass die Frommen verschiedenen Ansichten über Gott angehangen, wie ich im Kap. 2 an vielen Beispielen gezeigt habe. Endlich ist ebenso wenig auffallend, dass die heiligen Bücher überall so unpassend von Gott sprechen, ihm Hände, Füsse, Augen, Ohren, Verstand und Bewegung geben und selbst Gemüthsbewegungen, wie Eifersucht, Mitleid, und dass sie ihn als einen Richter schildern, der im Himmel wie auf einem königlichen Throne sitzt und Christus zu seiner Rechten hat. Sie sprechen da nach der Auffassung der Menge, welche die Schrift nicht gelehrt, sondern gehorsam machen will. Die gewöhnlichen Theologen wollen das, was das natürliche Licht als der göttlichen Natur unangemessen erkennen lässt, bildlich auslegen; was aber ihren Verstand übersteigt, wellen sie buchstäblich verstanden haben. Allein sollte Alles derart in der Bibel bildlich ausgelegt und aufgefasst werden, so wäre die Bibel nicht für das Volk und die unwissende Menge, sondern nur für die klügsten und grössten Philosophen geschrieben worden. Ja, wenn es gottlos wäre, das, was ich gesagt, von Gott fromm und einfältig zu glauben, so hätten die Propheten sich wegen der Schwäche des niederen Volkes vor solchen Ausdrücken höchlich in Acht nehmen und die Eigenschaften Gottes, wie sie Jedermann aufzufassen habe, vor Allen ausdrücklich und deutlich lehren müssen. Allein dies ist nirgends geschehen; deshalb können auch diese blossen Meinungen, ohne Rücksicht auf die Werke, nicht zur Frömmigkeit oder Gottlosigkeit gehören; vielmehr kann der Glaube des Menschen nur dann als fromm oder gottlos gelten, wenn er ihn entweder zu dem Gehorsam bewegt oder ihm die Erlaubniss zur Sünde und Aufruhr giebt. Wer also durch den Glauben der Wahrheit ungehorsam wird, der hat vielmehr einen gottlosen Glauben, und wer in seinem Glauben des Falschen doch gehorsam ist, der hat einen frommen Glauben; denn die wahre Erkenntniss Gottes ist, wie gesagt, kein Gebot, sondern eine Gabe Gottes; und Gott verlangt keine andere Erkenntniss von den Menschen, als die seiner göttlichen Gerechtigkeit und Liebe, welche Kenntniss nicht zur Wissenschaft, sondern zum Gehorsam nöthig ist.
Vierzehntes Kapitel
Was der Glaube sei, und wer die Gläubigen seien. Die Grundlagen des Glaubens werden bestimmt und derselbe endlich von der Philosophie getrennt.
Bei einiger Aufmerksamkeit kann es Niemand entgehen, dass, um eine wahre Einsicht von dem Glauben zu erlangen, man vorerst wissen muss, dass die Bibel nicht blos dem Verstande der Propheten, sondern auch dem des unbeständigen und veränderlichen niederen jüdischen Volkes angepasst worden ist. Wer allen Inhalt der Bibel ohne Unterschied als eine allgemeine und unbedingt gültige Lehre über Gott erfasst und nicht genau unterscheidet, was der Fassungskraft der Menge angepasst worden, muss die Meinungen dieser Menge mit der göttlichen Lehre vermengen und die Erdichtungen und das Belieben der Menschen für göttliche Anweisung ausgeben und das Ansehen der Bibel missbrauchen. Wer weiss nicht, dass deshalb hauptsächlich die Sekten so entgegengesetzte Meinungen als Regeln des Glaubens lehren und mit vielen Beispielen aus der Bibel belegen? Deshalb ist es längst bei den Niederländern zum Sprüchwort geworden ist: » Geen ketter sonder letter .« Denn die heiligen Bücher sind nicht blos von Einem und für das Volk eines Zeitalters verfasst, sondern von mehreren in Alter und Bildung verschiedenen Männern, und wollte man deren Jahre zusammenrechnen, so käme man auf 2000 und mehr Jahre. Die Sektirer will ich aber deshalb nicht der Gottlosigkeit beschuldigen, nämlich dass sie die Worte der Schrift ihren Meinungen anpassen; denn sowie sie früher der Fassungskraft der Menge angepasst worden, so kann sie auch Jeder der seinigen anpassen, wenn er sieht, dass er damit Gott in Allem, was Gerechtigkeit und Liebe anlangt, mit bereitwilligerem Gemüthe gehorchen könne. Allein ich klage sie an, weil sie die gleiche Freiheit nicht Allen zugestehen wollen, und die, welche mit ihnen nicht stimmen, trotz ihrer Rechtlichkeit und Tugendübung als Feinde Gottes verfolgen; dagegen ihre Anhänger, wenn sie auch noch so schwach an Geist sind, doch als die Erwählten Gottes
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