Theopolis - Heimat meines Herzens
wechselte das Thema. “Haben hier früher wirklich Menschen gelebt?”
“Das glaube ich nicht. Der Tempel wurde am höchsten Punkt der Insel errichtet, um den Unterschied zwischen den Göttern und gewöhnlichen Sterblichen wie uns zu unterstreichen.”
“Wie sich die Dinge doch geändert haben”, bemerkte Joanna leise.
“Was wollen Sie damit andeuten?”, fragte er misstrauisch. “Haben Sie ein Problem damit, wenn ich mich als gewöhnlichen Sterblichen bezeichne?”
“Ach, haben Sie das? Ist mir gar nicht aufgefallen”, behauptete sie.
Zur Hölle mit ihr!
Demetri atmete tief durch. “Können wir den Streit nicht einfach beenden?”
Erneut zuckte sie die Schultern und kletterte die Stufen hinauf, um die Überreste eines verwitterten Giebels zu bewundern. “Ich habe nicht angefangen.”
“Aber Sie wollen das letzte Wort haben, oder?”, konterte er genervt. “Theos, Joanna, lassen Sie uns Waffenstillstand schließen.”
“Noch einen?” Nach kurzem Überlegen nickte sie. “Okay. Erzählen Sie mir von Athene. Wer war sie?”
“Sie war die Lieblingstochter des Zeus. Es heißt, sie habe zur Rechten ihres Vaters im Rat der Götter gesessen. Sie soll die Olive und den Pflug erfunden und die Menschen den Schiffbau gelehrt haben.”
“War sie nicht auch Göttin des Krieges?”
“Ja. Sie hatte offenbar von ihrem Vater Blitz und Donner geerbt und soll sie sogar gelegentlich gegen ihn benutzt haben.” Er lächelte versonnen. “Eine ziemlich beeindruckende Dame.”
Joanna lächelte ebenfalls. “Missbilligen Sie ihr Verhalten?”
Demetri schüttelte den Kopf und schlenderte einen Pfad entlang, der an Marmorstücken, zerbrochenen Friesen, vorbeiführte. Er merkte, dass ihn ihre Offenheit immer mehr fesselte, und wollte sich auf kein Wortgefecht mit ihr einlassen, und sei es auch noch so scherzhaft. Irgendwie war es ihr gelungen, ihm unter die Haut zu gehen und nicht nur körperliches Interesse in ihm zu wecken. Warum hatte er sie überhaupt hergebracht? Fernab der Villa war es gefährlich leicht, ihre Beziehung zu seinem Vater zu vergessen und so zu tun, als wären sie einfach ein Mann und eine Frau auf einem Ausflug, die die Gesellschaft des anderen genossen.
Er fluchte leise. Wie, um alles in der Welt, kam er auf diese Idee? Er konnte doch unmöglich Freude am Zusammensein mit ihr empfinden! Sie war die Geliebte seines Vaters, im besten Fall eine Opportunistin, im schlimmsten eine Glücksritterin. Olivia hatte Recht. Er war leichtsinnig. Er sollte Joanna unverzüglich zurückbringen.
“Ihre Schwester mag mich nicht, oder?” Joanna hatte sich niedergekauert und inspizierte die Inschrift auf einer Marmortafel.
“Ich … Sie …” Es ärgerte ihn maßlos, dass er keine Worte fand.
Erneut wechselte sie das Thema. “Was steht hier?”
Am liebsten hätte er ihre Frage ignoriert, doch es wäre nicht klug gewesen, Joanna zu provozieren. Provokation führte zu Stimulation, und Stimulation mündete unweigerlich in Erregung. Also kniete er sich notgedrungen neben sie und las die gemeißelten Zeilen. Glücklicherweise hatte er Altgriechisch gelernt und konnte die Worte nun mühelos übersetzen.
“Der Text ist Athene gewidmet”, erklärte er. “Er preist die Tugenden der jungfräulichen Muttergöttin.”
Verwundert sah Joanna ihn an. “Die jungfräuliche Muttergöttin? Ist das nicht ein Widerspruch in sich?”
Gebannt blickte er in tiefblaue Augen, die von dunklen Wimpern umrahmt wurden – wahrscheinlich getuschte Wimpern, wie er sich gereizt sagte. Diese Wimpern warfen feine Schatten auf ihre Wangen. Wangen, deren Farbe sich zu einem tiefen Rot steigerte, während er sie betrachtete.
Sie war offenbar von seiner Nähe genauso überwältigt wie er von ihrer, und bevor er sich eine plausible Antwort auf ihre Frage überlegt hatte, versuchte sie, sich zu erheben. Allerdings hatte sie dabei nicht auf den unebenen Untergrund geachtet und wäre gestürzt, wenn Demetri nicht aufgesprungen wäre und ihren Arm ergriffen hätte.
Leider verlor er dabei selbst das Gleichgewicht und fiel. Sekundenbruchteile später fand er sich rücklings auf dem steinigen Boden wieder, und Joanna landete auf ihm. Er hätte nicht sagen können, wer von ihnen über den Zwischenfall schockierter war. Ihrer entsetzten Miene nach zu urteilen, machte sie allein ihn für ihre missliche Lage verantwortlich.
“Lassen Sie mich endlich los”, befahl sie wütend.
Erst jetzt merkte er, dass er noch immer ihren Arm festhielt.
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