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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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generelle Reproduzierbarkeit des Wissenserwerbs indiziert werden, die Individualität gerade noch als Lokalkolorit der einander angeglichenen Wissensfabriken gelten lassen will.
    Vieles, was so unter dem Titel der Effizienzsteigerung zur Reform des Bildungswesens unternommen wird, gehorcht schlicht dem Prinzip der Industrialisierung. Die vielgerühmte Modularisierung von Studien etwa stellt die Übertragung des Prinzips funktional differenzierter Fertigungshallen auf den Wissenserwerb dar, Stück für Stück werden Kurse und Lerneinheiten zu den Abschlüssen montiert. Auch die Einführung der ECTS-Punkte (Leistungspunkte) etabliert eine Norm zur Bewertung von Studienleistung, die bis in das Berechnungssystem diversen Industrienormen entspricht. Und nicht zuletzt erweisen sich das vielgerühmte Teamwork und die allerorts forcierten Forschungs- und Projektgruppen als Einrichtung von Produktionsbrigaden, denen problemlos Ziele, Steigerungsraten und Verwertbarkeitsberechnungen vorgegeben werden können und in denen nichts so sehr stört wie individuelle Abweichungen.
    Sozialpsychologisch interessant ist dabei – wie auch bei ähnlichen Industrialisierungsprozessen – das Phänomen, daß Menschen, die lange – und als beamtete Professoren sogar mit staatlicher Garantie – unter den Prämissen der Souveränität und Freiheit geforscht und gelehrt hatten, ihre Eingliederung in ein hybrides Produktions- und Kontrollkonzept relativ problemlos akzeptieren. Daß sie sich durch die simple Rhetorik, die diesen Industrialisierungsprozeß unter Etiketten wie »Autonomie« und »Flexibilität« propagiert, täuschen lassen, wollen wir in Anbetracht der Intelligenz der Betroffenen – immerhin handelt es sich um die neuen Eliten – nicht annehmen. Jeder Handwerker, der mit Wehmut, Zorn und verletztem Stolz seine Werkbank gegen einen Arbeitsplatz in einer Fabrik tauschen mußte, hatte gegenüber gesellschaftlichen Wandlungen vielleicht mehr Sensibilität entwickelt als ein einstens freier Geist, der nun stolz verkündet, alles zu tun, um das Plansoll und die Ziele seines »Unternehmens« zu erfüllen.
    In gewisser Weise kann diese Industrialisierung des Wissens als Nachziehverfahren eines allgemeinen Prozesses begriffen werden, der nun die letzten gesellschaftlichen Refugien erfaßt. Der »Wissensarbeiter« entpuppt sich als Phänotyp eines Wandels, der nicht dem Prinzip des Wissens, sondern dem der industriellen Arbeit gehorcht. Es ist nicht der Arbeiter, der zum Wissenden, sondern der Wissende, der zum Arbeiter wird. Wäre es anders, würde man Unternehmen in Universitäten und nicht Universitäten in Unternehmen verwandeln. Daß sich der bearbeitete Rohstoff verändert hat und nun an die Stelle von Eisen und Stahl das Genom und die zellulare Mikrostruktur treten, ändert an diesem Befund wenig, zumal wissensintensive Leichtindustrien schon in den Frühphasen der Industrialisierung eine große Rolle spielten, genauso wie die immer als Beispiel für die Wissensgesellschaft zitierten Kommunikationstechnologien. Am Stand ihrer Zeit verlangte die Telegraphie einen ähnlich hohen Aufwand an physikalischem und technischem Wissen wie die Mobiltelephonie heute; und sowenig sich der einfache Nutzer und Konsument seinerzeit vorstellen konnte, wie die Übertragung von Zeichen technisch funktioniert und auf welchen physikalischen Gesetzmäßigkeiten sie beruht, so wenig wüßte heute der Benutzer eines Mobiltelephons dessen Funktionsweise zu erklären. Die der industriellen Produktionsform inhärente Form der Arbeitsteilung sorgt dafür, daß auch der Techniker so wenig »weiß«, was er eigentlich macht, wie die Berater in den Verkaufsstellen, die den Kunden die Bedienung der Wunderdinge erklären. Wenn Menschen, die in der Mobilfunkindustrie tätig sind, Wissensarbeiter sind, dann waren dies auch die einstigen Fräuleins von der Post.
    Die Rede von der Wissensgesellschaft legt, auch wenn dies nicht ausdrücklich formuliert wird, den Gedanken nahe, daß andere und frühere Gesellschaftsformationen nicht in dem Maße auf Wissen setzten wie die gegenwärtige. Plausibel wird diese Rede nur, wenn ein bestimmter Typus von Wissen dabei ins Auge gefaßt wird. Seit sich Menschen zu Sozietäten formieren und seit solche Gesellschaften Natur beobachten und bearbeiten, existiert ein diese Gesellschaften selbst strukturierendes Wissen. Dies betrifft sowohl die Kenntnisse, die für die verschiedenen Produktionsprozesse notwendig sind, als auch die

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