Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
naiv und in einem basalen Sinn schlicht unwissend die Protagonisten der sogenannten Wissensgesellschaft sind, wenn es darum geht, den Zeitgeist und seine Moden nicht zu verpassen. Daß sich die einstigen Zentren des Wissens, die Universitäten, zunehmend an Unternehmensberatungen wenden, um ihre Reformprozesse begleiten und strukturieren zu lassen, zeugt nicht nur von einer erbärmlichen Anpassung an die alles beherrschende Sprache des Coaching , Controlling und Monitoring , 23 sondern auch von einer Blindheit gegenüber einer Ideologie, deren kritische Demontage einstens zu den Aufgaben gesellschaftswissenschaftlichen Wissens gehört hätte. Wer zusieht, wie Universitätsfunktionäre jede noch so dumme ökonomistische Phrase aus dem Repertoire der Heilslehren des New Management beflissen adorieren, muß sich über die einstige Willfährigkeit der Intelligenz gegenüber anderen ideologischen und totalitären Versuchungen nicht mehr wundern.
Unbestritten bleibt bei all dem, daß vor allem für die industrielle Produktion jener materiellen Güter, die zu Indikatoren für den Status einer technologisch avancierten Gesellschaft geworden sind, ein hoher Forschungsaufwand bestritten werden muß. Ob sich dieser immer lohnt, oder ob dieser an sich einzig produktive Sektor der sogenannten Wissensgesellschaft nicht auch zahlreiche Leerläufe erzeugt, die keinen anderen Sinn haben, als zur Bestätigung von Wettbewerbsfähigkeit hektische Forschungstätigkeiten zu simulieren, wäre durchaus diskussionswürdig. Aber auch wenn die Forschung und die daraus abgeleiteten technischen Innovationen einen wesentlichen Faktor der ökonomischen Perspektiven und alltäglichen Lebenswirklichkeit einer Gesellschaft ausmachen sollten, muß dies noch kein gravierender Grund sein, von einer Wissensgesellschaft zu sprechen. Mögen die Statistiker der OECD immer wieder hohe Akademikerquoten fordern, und mag man durch die Einführung von Kurzstudien und Senkung der Niveaus auch versuchen, diese Quoten zu erreichen, so werden weder die Wissenschaftler zu einer dominierenden sozialen Schicht noch die wissenschaftliche Rationalität zu einer den Alltag bestimmenden Denkform.
Panajotis Kondylis hat einmal die These formuliert, daß »bei einem sehr hohen Produktivitätsniveau die technische Rationalität zu einer Sache einer Minderheit« werden könnte, ohne daß dies den Akteuren dieser Rationalität eine besondere gesellschaftliche Rolle zuwiese: Die Wissenschaftler und Techniker einer fortgeschrittenen Gesellschaft könnten einmal denselben Status haben wie heute die Bauern und Landwirte – wohl sorgen diese als Minderheit für die Ernährung und Versorgung der Gesellschaft, niemand jedoch würde ihnen deshalb eine besondere politische, kulturelle oder soziale Stellung zubilligen. 24 Möglich, daß Wissenschaft und Technik zu einer selbstverständlichen Dienstleistung mutieren, die in hohem Maße nach den Standards der Industriegesellschaft auf dem jeweils herrschenden technischen Niveau angeboten werden, ohne daß daraus für den Charakter und die Funktionsweise dieser Gesellschaft nennenswerte Konsequenzen abzuleiten wären.
Gerade daß die modernen Wissenschaften seit ihrer Etablierung unter unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bedingungen klaglos funktionierten – im liberalen Amerika so gut wie im nationalsozialistischen Deutschland, in der stalinistischen Sowjetunion so gut wie im autoritären China –, sollte vorsichtig gegenüber der These stimmen, daß es die Produktion, Verteilung und Verwertung von Wissen selbst ist, die die Kraft haben könnten, eine Gesellschaft zu formieren. Wohl mag es Bedingungen geben, die dem wissenschaftlichen Ehrgeiz und dem Prozeß der theoretischen Neugierde günstiger gestimmt sind als andere, aber wenig spricht dafür, die Epoche der Industrialisierung des Wissens ausgerechnet eine Wissensgesellschaft zu nennen. Eher wäre von einer Zeit zu sprechen, in der die Unterwerfung des Wissens unter die Parameter einer kapitalistischen Ökonomie, die nur dort dem Wissen gegenüber freundlich agieren wird, wo dieses entweder unmittelbar verwertet werden kann oder zumindest kostenneutral nicht weiter stört, endgültig vollzogen wird. Unter diesen Bedingungen wird das Wissen selbst entmündigt. Mit dem, was eine andere Zeit »Bildung« genannt hatte, hat, aller Beschwörung des Bildungsbegriffes zum Trotz, das Wissen der Wissensgesellschaft wenig bis gar nichts mehr zu tun.
4.
PISA: Der Wahn der Rangliste
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