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Theres

Theres

Titel: Theres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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Kommentar:
    Fernsehauftritte, Kontakte, Beachtung zu haben gehört zu meinem Beruf als Journalistin und Sozialistin, verschafft mir Gehör über Funk und Fernsehen über konkret hinaus. Menschlich ist es sogar erfreulich, deckt aber nicht mein Bedürfnis nach Wärme, nach Solidarität, nach Gruppenzugehörigkeit. Die Rolle, die mir dort Eintritt verschaffte, entspricht meinem Wesen und meinen Bedürfnissen nur sehr partiell, weil sie meine Gesinnung als Kasperle-Gesinnung vereinnahmt, mich zwingend, Dinge lächelnd zu sagen, die mir, uns allen, bluternst sind: also grinsend, also maskenhaft.
    Ihre Pflegemutter, Renate Riemeck, gab später eine Deutung dieser Äußerung, die auch das millionenköpfige Fernsehpublikum akzeptieren konnte:
    Sie arbeitete viel zu schwer … Ihr Selbstvertrauen war nie so groß, wie sie vermuten ließ. Sie brauchte immer die Unterstützung einer stärkeren Persönlichkeit. Sie war als Kind intelligent und hatte einen guten Charakter, aber sie spiegelte immer ihre Umgebung ab. In einer Weise war das ihre Stärke. Sie wollte ihre Grenzen erforschen, sehen, wie weit sie gehen konnte.
    *
    (Schwesterliche Gespräche über Blutsbande)
    Hinzuzufügen ist, was in den Journalen unter der Bezeichnung »Eheprobleme« läuft. Ihre Heirat war für sie mit einem Gedanken, einer Idee verbunden gewesen. Diese Idee hatte sie wohl noch immer, wenn auch in verwässerter Form – konkret war nach dem Bruch mit der DDR in erster Linie ein Handwerkszeug onanierender Gymnasiasten. Und ebenso war es mit jenem Körper, der die Idee ehemals genährt hatte: Er zog es nunmehr vor, in anderen Betten als dem ehelichen zu liegen.
    Erstaunlicherweise wird sie erst mit Ensslin völlig offen über ihre Ehe reden; nicht einmal mit Eva Rühmkorf hat sie die Sache zur Sprache bringen können. Ensslins Erklärung für Ulrikes private Frustration ist jedoch eine andere als Evas. Aus Erfahrung – sie spricht über ihre frühere Beziehung zu dem Schriftsteller und Verleger Bernward Vesper – glaubt Ensslin zu wissen, was es heißt, mit einem Mann zusammenzuleben, mit dem man auch zusammen arbeiten muss:
    Am Ende ging es so weit, dass wir gezwungen waren, Gedichte von Bernwards Vater herauszugeben, du weißt, dem Nazidichter. Doch seine Bücher ließen sich zumindest verkaufen, und so lief der Verlag rund, bis der nächste Packen Rechnungen zur Bezahlung anstand. Ich denke oft daran, Ulrike. Es ist nicht so, dass Distanz entsteht und die Distanz Unzufriedenheit erzeugt; vielmehr bringen einen Schwierigkeiten enger zusammen, doch zum Preis einer ständig größeren Selbstverachtung.
    Ulrike ist noch nicht an diesem Punkt angelangt. Doch kommt er immer näher. Sie betrachtet ihren Mann mit Verwunderung und Besorgnis, als erwarte sie in gewisser Weise, dass er sich auf den Weg macht und die Grenze überschreitet, während sich ihre eigene Position, befreit von Klaus’ Schatten, als einzig mögliche, berechtigte, anständige erweist. Noch ist es ein Stück Weg bis zu der Einsicht, dass es sich genau umgekehrt verhält. Opportunisten geben niemals eine Schlacht verloren. Sie selbst muss aufbrechen.

Prozess in Frankfurt

    Frankfurt, 14. Oktober 1968: Die Brandstifter vor Gericht. Ulrike trifft ausnahmsweise einmal rechtzeitig zum Prozess ein, drängt sich nach vorn zum Zuschauerplatz, den Notizblock fest an die Brust gepresst. Eskapaden. Der Vorsitzende des Gerichts, Herr Gerhard Zoebe , bittet Andreas Baader, sich vom Platz zu erheben. Baader bleibt sitzen; wer aufsteht, ist Thorwald Proll.
    ZOEBE (liest ab) : Sie sind also am 6. Mai 1943 geboren, Herr Baader? PROLL (den Blick zur Decke) : Nein, ich bin 1789 geboren.
    Dann das Handgemenge mit der Zigarre. Söhnlein versucht einem der Justizbeamten eine große schwarze Zigarre anzubieten. Es kommt zum Handgemenge, als die Zigarre entfernt werden soll. Dann wedeln plötzlich alle vier Angeklagten mit Zigarren. Tumult. Das Gerichtsverfahren, reduziert auf ein Justiz-Happening nach dem Szenario Kunzelmanns und der anderen Haschaktivisten der »Traumfakultät«:
    Ich studiere nicht, ich arbeite nicht, ich habe Probleme mit meinem ORGASMUS , und ich will, dass die Öffentlichkeit das erfährt …
    Ulrike wohnt den teils ausgelassen, teils desperat verlaufenden Verhandlungen hinter einer Maske bitterer, manch einer würde sicher sagen arroganter Gleichgültigkeit bei, die sie sich seit dem Umzug nach Berlin zugelegt hat. Nicht einmal als schließlich Ensslin ( die Krakeelerin ) das Wort

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