Theres
natürlich noch viel weniger. Diesmal ist das Opfer ein sorgloser junger Student, der obendrein genauso heißt, Benno Ohnesorg , der vor der Oper demonstriert, weil Pflicht und Gewissen es so gebieten. Während der Henker dieses Tages, Karl-Heinz Kurras , zu jenen innerhalb der polizeilichen Spezialeinheiten gehört, die man herbeizitiert hat, damit sie außerhalb der Absperrungen warten, für den Fall, dass andere als die von der SAVAK beorderten Huldigungschöre ihre Stimmen erheben. (Ohnesorg handelt aus eigenem freien Willen, Kurras, wie das System es ihn gelehrt hat)
Bei der nachfolgenden Untersuchung wird aufgedeckt, dass Kurras ein fanatischer Waffensammler ist: das heißt, er hat gemäß wiedererkennbarem Muster gelernt, ein fetischistisches Verhalten zu Instrumenten, die töten, anzunehmen. Ohnesorg hat in seinem ganzen Leben noch nie an einer politischen Demonstration teilgenommen.
(Weitere Entwicklung des Hergangs)
Als die Demonstranten sich in ihrer Frustration darüber, dass der gesamte Platz in Hörweite des Schahs und seiner Gemahlin von den durch die SAVAK bezahlten »Sympathisanten« belegt ist, in Bewegung setzen, schlägt die Polizei sofort zu. All das geschieht nach einem im Voraus geplanten Szenario. Mit Gummiknüppelschlägen werden die Demonstranten in die Krumme Straße getrieben; es kommt zum Tumult, weil sich alle Rückzugswege als versperrt erweisen. Da man ihm beigebracht hat, jede Unruhe als verdeckte Bedrohung seiner eigenen Person auszulegen, zieht Kurras seine Dienstwaffe – eine Walther PPK , Kaliber 7,65 – und schießt dem fliehenden Ohnesorg kaltblütig eine Kugel in den Kopf.
(Schlussfolgerung)
Der erste politische Mord in der Geschichte der Bundesrepublik. (Günther Grass)
(Was sich die Nachwelt fragt)
Dass die Verantwortlichen innerhalb der Polizei versuchen, die gesamte Episode hinterher zu bagatellisieren, das Vorkommnis der Unkenntnis und mangelnden Routine zuzuschieben, offenbart nur die tiefer liegende Logik hinter jedem Ereignis, bei dem das im Grundgesetz verankerte Recht der freien Meinungsäußerung in die Praxis umgesetztwerden soll. Es gibt jene, die das Recht haben sich zu äußern, d. h. das zu sagen, was das Regime für erforderlich hält, und es gibt jene, denen das Recht verweigert wird, und wenn sie sich dieses Recht dennoch nehmen , scheut das Regime nicht einmal vor einem brutalen Mord zurück.
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Ulrike in Berlin. Das Gefühl, gleichzeitig zu »steigen« und zu »sinken«. Sinken in dem Sinne, dass sie ihren Platz in repressiven Zwangshierarchien (beispielsweise der Ehe) nicht mehr zu finden vermag; steigen in dem Sinne, dass sie sich nun, befreit aus ihrer früheren sozialen Einkapselung, wesentlichen Fragen leichter zuwenden kann. Abgesehen von Peter Homann, mit dem sie, wie sie sich zumindest einredet, beschlossen hat, »der Kinder wegen« zusammenzuleben, trifft sie andere Menschen nun ausschließlich »im Dienst«. Im Dienst trifft sie unter anderem Hans Magnus Enzensberger (Autor und Verleger), Bahman Nirumand (der Dissident, der die Kunde vom Mörderregime im Iran hinausgeschrien hatte) und, natürlich, Rudi Dutschke, in der Presse als Der rote Studentenführer ausgestellt und entstellt. Die Begegnungen und Zusammenkünfte erfolgen in inoffiziellem Zusammenhang vor, während und nach den verschiedenen Zusammenkünften der SDS-Aktionsgruppen, in offiziellem bei verschiedenen Tribunalen, beispielsweise dem großen Berliner Vietnamkongress im Februar 1968, dessen zweiter Tag in einer riesigen Demonstration mündet, die die Polizei nur mit Wasserwerfern und herbeigerufener Kavallerie aufzulösen vermag. ( Ulrike ist dabei, bleibt aber wie immer auf Abstand. )
Dutschke: eine Verbindung von Klarsicht und Härte ohne kühle Arroganz; aber auch eine Wärme, die sie aus den protestantischen Kreisen kennt, mit denen sie in Oldenburg und Münster verkehrte, eine Mitmenschlichkeit, die nicht Mittel und Zweck verfolgt, sondern bei einem Menschen als natürlicher Reflex entsteht, der mit den Bedingungen, wie sie jetzt aussehen, konfrontiert worden ist. Und obgleich Welten zwischen ihnen liegen, gibt es dennoch Gesprächsbereiche . Dutschke nutzt sie: Ulrike ebenso:
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(Kleine Diskussion über das Thema Öffentlichkeit / Gegenöffentlichkeit, Macht / Gegengewalt usw.)
DUTSCHKE : Ich bin der Meinung, dass es heute keine Öffentlichkeit gibt, denn zur Öffentlichkeit gehören bewusst handelnde Individuen, fähig zur kritischen Erkenntnis, die imstande
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