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Theres

Theres

Titel: Theres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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sich: Da waren all diese Verkaufsreisen, die sie mit dem Auto nach Ostberlin unternommen hatten. Aus irgendeinem Grund scheinen sie allesamt zur Winterzeit stattgefunden zu haben. Nächtliche Treffen in der Friedrichstraße oder in irgendeiner nahegelegenen anonymen Wohnung. Die Karten auf den Tisch. konkret brauchte Geld. Die Behörden der DDR konnten sich eine »Teilfinanzierung« vorstellen. Im Gegenzug verlangten sie Einblick und bestimmte Zugeständnisse in einigen, wie sie es zu der Zeit auszulegen geruhten, »unerheblichen« Punkten.
    Darin hatten sie damals kein großes Problem gesehen. Das Problem war eher, wie man das Schwarzgeld hinlänglich weiß waschen konnte,damit kein Revisor Verdacht schöpfte. Dennoch mussten die Transaktionen einen Rest von Unlust oder gar schlechtem Gewissen hinterlassen haben: Andernfalls hätte das Gespräch zwischen ihnen wohl nicht die Wendung genommen, die es nahm, und sie selbst sich kaum beinahe wörtlich daran erinnert. Sie erinnert sich an das Gespräch fast so, als folgte es einer thematischen Vorgabe: »ein Gespräch über das Mögliche und das Notwendige«; initiiert von Klaus, der etwas in der Art gesagt hatte wie: Wenn man nicht glaubt, dass der Mensch von Natur aus schlecht ist, muss man Schlechtigkeit als ein Manko sehen, etwas, das man heilen, wegkonstruieren kann.
    Unterwegs im Auto auf den schmalen Mecklenburger Straßen; der Nebel wie ein bedeckender Umhang, durch dessen Säume und Falten sie vorwärts krochen. So kam es ihnen zumindest vor, Klaus am Steuer und ihr, die etwas einwandte über das Instrumentelle einer solchen Denkweise: Man muss sich an irgendeine Form der Metaphysik halten, andernfalls wird alles zu einer Frage der Technifizierung. Sie hätte leicht auf die DDR-Gesellschaft, die sie hinter sich gelassen hatten, verweisen können: Erkenne als Einziges die Existenz von Problemen an, die sich lösen lassen , und was du erhältst, ist eine Gesellschaft, die ausschließlich aus durchschaubaren, unbewohnbaren Kulissen besteht. Nebel, und sie, die sagte, man müsse glauben, dass das Gute sich durchsetzt, eben weil es gut ist. Hegels Notwendigkeitslogik – ( ja, war es nicht Hegel, der gesagt hatte, wenn etwas in der Geschichte geschieht, dann geschieht es, weil es notwendig ist? Also: weil die Geschichte es erfordert.) Ihre Naivität zur damaligen Zeit: Glauben an das Gute und Richtige als eigentliche Erscheinungsform der Geschichte: Versuche nicht Probleme wegzukonstruieren, sondern widme stattdessen deine Anstrengungen dem Kampf gegen all das, was das Gute und Richtige am Erscheinen hindert. Nebel, und Klaus, der etwas in der Art gesagt hatte: Wenn du so argumentierst, vergisst du eine Sache, Ulrike. Du vergisst, dass es immer mehr als nur eine Weise gibt, auf die man das, was geschieht, auslegen kann. Wir befinden uns immer in den Händen einer höheren Macht. Ein weiterer Ausdruck ihrer Naivität: Du meinst, die Partei? Und Klaus (geduldig): Nein, nicht unbedingt die Partei. Was ich meine, ist, wenn wir uns nicht selbst Einfluss auf dieses höhere Auslegungsrechtverschaffen, wo stehen wir dann, wenn andere nicht einen Augenblick lang zögern, sich desselben zu bedienen, um das, was du gut und richtig nennst, als schlecht und falsch zu bezeichnen?
    *
    Heute gedacht – unterwegs in einem verrosteten R 4 durch eine andere Landschaft: Berlins City. Autoradio: … in dieser Extrasendung berichteten wir von einem umgekippten Tanklastwagen am Dreieck Wilmersdorf, Abfahrt Uhlandstraße; über Personenschäden liegen uns noch keinerlei Angaben vor, Polizei und Feuerwehr befinden sich vor Ort … Ein blauer Frühlingsabend: Auf den Straßen zahlreiche Menschen in Bewegung – du hattest recht, Klaus; in diesem Punkt hattest du tatsächlich recht .
    Schlussfolgerung: Zwischen zwei Standpunkten kann man wählen: das Mögliche im Blick zu haben oder das Notwendige . Diejenigen, die das Mögliche im Blick haben, bemerken Mängel in der Gesellschaft und bemühen sich, diese wegzukonstruieren. Diejenigen, die das Notwendige im Blick haben, bemerken dieselben Mängel, bemühen sich jedoch, sie erst gar nicht entstehen zu lassen .
    Beispiel ( I ): Es lässt sich verhindern, dass Menschen vom Persönlichkeitstyp eines Kurras zum Mörder werden: durch emphatische und ideologische Erziehung, im schlimmsten Fall durch ein Verbot des Waffenbesitzes: All das ist möglich . Was notwendig ist: Gesellschaftsstrukturen zu schaffen, die das Ausleben von destruktiven

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