Theres
Mann stieg
aus dem Zug
Josef Erwin Bachmann heißt ein vierundzwanzigjähriger Anstreicher aus München, der sich ebenfalls »über den Zustand hier im Land« entsetzt. Emsige Zeitungslektüre hat ihn darüber aufgeklärt, dass das Land von handlungsunfähigen Bürokraten gelenkt wird, die es zulassen, dass langhaarige Jugendliche in Parks vegetieren, und die ihre passive Zustimmung dazu geben, dass die Lehrveranstaltungen an den Universitäten nur noch reiner Jux sind, um so die Jugend des Landes moralisch zu deformieren. Obendrein scheint es jetzt offensichtlich comme il faut zu sein, Warenhäuser in Brand zu stecken, wenn man etwas am Sortiment auszusetzen hat. Bachmanns Überlegung (gemäß der Argumentationsform »ist doch völlig klar«, »das kennt man doch«): es gibt schwarze Schafe, und es gibt solche, die sich nur mittreiben lassen: so ist es seit der Nazizeit gewesen. In der Bild-Zeitung (Bachmanns wichtigster Informationsquelle) wird das schwarze Schaf Tag für Tag abgebildet: es läuft unter dem Namen Studentenführer . Allein das schon der reinste Hohn: wie nur kann man die moralische Autorität einer Person anerkennen, die Tausende junger Männer und Frauen mit Lügen verleitet, in der Art von: Unser Vietnam kämpfen wir hier in Deutschland aus. Als hätten wir es nicht den Amerikanern zu verdanken, dass ein Übel nicht durch ein noch weit schlimmeres ersetzt wurde (vielsagendes Nicken in Richtung Ostblock); Polizei und Staatsanwaltschaft aber stehen natürlich nur machtlos da und sehen zu, wie Pflastersteine fliegen und die Fenster von Konsulatsgebäuden zu Bruch gehen.
Bachmanns Schlussfolgerung : Man muss etwas in der Sache tun .
Bachmanns Theorie (gesunde Instrumental-Logik): Beseitige die Ursache des Problems, und du hast auch das Problem beseitigt. Er packt also seine Tasche, setzt sich in den Zug und fährt nach Berlin.
Ein Porträt Bachmanns:
Aufgenommen beim Gerichtsverfahren ( am 4. März 1969 ): ein unauffälliger Mann; bekleidet mit einem Anzug, der offensichtlich schlecht sitzt, das Haar leicht zurückgestrichen von der Stirn; flackernder Blick, unsicher: als suchte er bei den moralischen Autoritäten, die ihm jetzt zuhören, Unterstützung und einen Ankerpunkt für seine Verteidigungsrede.
Bachmanns Brief an sein Opfer:
Ich habe vielleicht von Ihnen eine ganz verkehrte Auffassung gehabt. Vielleicht haben Sie gar nicht so unrecht, wenn Sie meinen, dass unsere Ruhe und Ordnung schon etwas zu lange anhält. Wenn ich Sie richtig verstehe und mir ein Bild von Ihnen erlauben darf, wollen Sie und Ihre Kommilitonen ein besseres System erreichen als das heutige. Aber jetzt kommt die Frage, was soll das sein und wie will man etwas ändern, was gar nicht zu ändern geht, denn die breite Bevölkerungsschicht fühlt sich so wohl, dass sie überhaupt nicht daran denkt, sich etwas anderes aufschwatzen zu lassen. Es ist ja bekannt, dass Kommunismus und Faschismus die Menschheit versklaven und unterdrücken wollen. Darum ist man heute in der Bundesrepublik wachsam bei allem, was sich ziemlich links bewegt und bei verschiedenen Gruppen, die mit dem linken Auge nach Osten schauen.
Hiermit möchte ich schließen, wünsche Ihnen, Rudi Dutschke, alles Gute und viel Erfolg für Ihre Zukunft.
Bachmann in Berlin :
Bachmann steigt schon am frühen Vormittag am Westberliner Bahnhof Zoo aus dem Zug, und begibt sich danach zum Einwohnermeldeamt, um zu erfahren, wo Dutschke wohnt. Er erhält eine Adresse: Kurfürstendamm 140 . (Vornehmer geht es nicht.) Da Bachmann weiß, dass ihm eine anstrengende Aufgabe bevorsteht und dass es in jedem Fall darauf ankommt, in erhöhter Verteidigungsbereitschaft zu sein, kehrt er zum Bahnhof zurück, in dessen Restaurant er eine nahrhafte Mahlzeiteinnimmt, bestehend aus zwei handfesten Buletten, Kartoffeln und Gemüse, die er mit einem halben Liter guten bayerischen Biers hinunterspült. Dann schlendert er die Joachimstaler Straße hinunter und biegt am Ku’damm-Eck nach rechts ab. Die Waffe trägt er in einem Schulterhalfter unter der Jacke, eine zweite in Bereitschaft in der Tasche, die er sich über die Schulter geworfen hat; für alle Fälle enthält die Tasche auch eine Schachtel Schlaftabletten. Bachmanns Beharrlichkeit wird belohnt, der Studentenführer verlässt bereits gegen halb sechs die Wohnung. Sein Sohn, Hosea-Che, ist krank; Dutschke will mit dem Fahrrad zur nächstgelegenen Apotheke. Bachmann erkennt sein Opfer zwar sofort (wie sollte es auch anders sein:
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