Theres
Dutschkes Porträt ist so gut wie täglich in der Bild-Zeitung zu sehen): doch will er den Identifikationsakt dennoch pro forma geklärt wissen. Sind Sie Rudi Dutschke? fragt er, und als Dutschke nickt und vom Rad steigen will, zieht Bachmann die Waffe aus dem Halfter und schießt dreimal. Dutschke wird in den Kopf, den Hals und die Brust getroffen und fällt kopfüber auf die Straße.
*
Ulrike Meinhofs Wohnung, Berlin-Dahlem: 11. April 1968.
Das Bügelbrett ist aufgestellt. Der Fernseher läuft: aber »die Tribüne« davor (momentan?) leer. Das Telefon klingelt.
Erneut nach Frankfurt
Der Gang hinein. Die Handhabung des schweren Schlüsselbundes ist so umständlich, dass es die Beobachtung zulässt, dass jeder Schlüssel zweimal im Schloss gedreht wird, bevor einer der Wärter einen Schritt nach vorn macht und ihr die Tür aufhält. Die Wärter: immer zwei. Jetzt sitzen sie diskret am jeweiligen Tischende und überwachen die Konversation. Als wäre es die Parodie einer Verhörsituation: sie auf der einen Seite, die beiden »Verbrecher«, Baader und Ensslin, auf der anderen. Auch du hast also hergefunden, Ulrike. Was ist das für ein Gefühl?
Ulrike hat auch weiterhin nur Baader im Blick. Die Ausgelassenheit vom Gerichtssaal jetzt wie weggeblasen. Stattdessen sitzt er steif da, den schweren Marlon-Brando-Kopf zwischen die Schultern gezogen, den Körper aber in unangenehmer Schräge: Als würde er jeden Augenblick die Geduld verlieren, aufspringen und verlangen, von hier weggebracht zu werden. Ensslin hingegen offener, den Blick voller Wohlwollen (Ulrikes Gedanke: Sie bemüht sich wenigstens. ) Die Stimme sanft, nachdenklich; mitunter geradezu pädagogisch deutlich und klarstellend. Sie hat einen Geigenkasten bei sich. Sie haben gesagt, ich darf die Geige behalten, aber was spielt das für eine Rolle, wenn sie als Erstes die Saiten entfernt haben. (Baader: Weil sie glauben, du wirst jemanden damit erdrosseln, – und wen? – irgendeinen Bullen. ) Ensslin drückt mit routiniertem Griff die Verschlüsse an der Seite des Kastens auf, und Ulrike beugt sich vor. Meint, wie im simpelsten Gangsterfilm, könnte sich darin eine versteckte Waffe befinden. Aber der Kasten enthält weder eine Geige noch eine Maschinenpistole, sondern einen Haufen vollgekritzelter Seiten, die Ensslin auf den Tisch kippt. Wie du siehst, haben wir uns auf das Interview mit dir vorbereitet. Bald hat sich die Situation verkehrt. Sie sitzt im Vernehmungsstuhl, und die beiden fragen sie aus. (Die Wärter verziehen keine Miene.)
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Also, Ulrike: Das hier sieht wirklich gut für dich aus. Erst haben sie Ohnesorg abgeknallt, dann deinen Freund Dutschke. Anschließend wurde Kurras freigelassen, bald wird wohl auch dieser verrückte Bachmann einen Passierschein in die Freiheit erhalten. Während wir hier drinnen vermodern. Ist es das, was du Gerechtigkeit nennst?
Gegen Bachmann wird bald Anklage erhoben. Darüber habe ich Informationen.
Es gibt keinen Grund, aggressiv zu werden, Andreas. Ulrike hat nichts getan.
Hat nichts getan? Und was ist das, was diese Fotze die ganze Zeit macht? Mit ihren endlosen Thesen und Theorien tut sie nichts anderes, als der Art von Repressionspolitik beizupflichten, die darauf hinausläuft, den Agenten des Systems unter die Arme zu greifen und die wirklich Oppositionellen hinter Gitter zu bringen.
Andreas, bitte …?
Ich bin hier, um mir eure Seite der Sache anzuhören und sie publik zu machen.
»Unsere Seite der Sache«? Begreifst du denn nicht, meine Kleine: Unsere Sache hat keine »Seite«. Unsere Sache kann in Worten überhaupt nicht ausgedrückt werden. Sie besteht darin, etwas zu tun, und dann können du und deine Thesenverdreher sich entscheiden: Wollt ihr dabei sein, oder wollt ihr nur als parasitäre Voyeure dasitzen und zuschauen, während wir anderen die Stöße abfangen.
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Ulrikes Gedanke, während das Verhör stattfindet: Nicht provozieren lassen, keine Schuld auf sich nehmen und dadurch in Verteidigungsposition gelangen. (Denkt ununterbrochen: Sie klagen nicht mich an. )
Doch beim Anblick von Baaders Gesicht, der furchtbaren Energie, die er beim Sprechen entwickelt, drängt sich ihr auch ein anderer Gedanke auf: Ich würde es nicht wagen, ihn mit meinen Kindern allein zu lassen, nicht einen Augenblick.
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Nachdem sie auch Ensslin unter vier Augen getroffen hat, verfügt sie über Material für mehrere große Artikel; doch sie fühlt instinktiv, dass die Pflicht, »sich des Materials anzunehmen«,
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