Theres
Meinhofs Küche)
Gudrun, der Auflösung nahe; Rhetorik nach dem Schema: Du bist die Einzige, der ich vertrauen kann! Sie beugt sich über den Tisch, fasst Ulrike fest um beide Unterarme; sagt:
ENSSLIN : Versprich, dass du mir hilfst, Ulrike. Wir müssen ihn da rausholen.
Ulrike denkt an ihre Kinder; sagt:
Und dein Kind, Gudrun; du musst auch an den Jungen denken. Danach wird es keinen Weg zurück geben.
ENSSLIN : Felix? Um den kümmert sich Bernward.
Nach Wannsee,
nicht weiter
Sechs Wochen sitzt Andreas Baader im Tegeler Gefängnis, auf den Weitertransport nach Frankfurt wartend. Über das, was sich in diesem Zeitraum ereignet, gibt das Besucherbuch eindeutige Auskunft. In der Zeit vom 6.-23. April bekommt der Inhaftierte Besuch von folgenden Personen:
Horst Mahler (Baaders Anwalt) – dreimal
Monika Berberich (Mahlers Referendarin) – zweimal
Ulrike Meinhof (streitbare Linksjournalistin) – zweimal
Am 22. April empfängt Baader laut Besucherbuch eine gewisse Gretel Weitemeier . Die Frau hat, der Wachmannschaft zufolge, alles getan, um so »alltäglich« wie möglich zu wirken – in roter Perücke, die Lippen glänzend rotgeschminkt und mit einem Mantel bekleidet, der aussieht, als »stamme er vom nächstgelegenen Flohmarkt«. Doch kennt sie Baader offenbar gut, denn bei seinem Anblick bricht sie unmittelbar in Tränen aus ( Baby, wir werden dich hier rausholen, keine Panik, wir kriegen das hin, dass du hier rauskommst ). Dann wieder diese Meinhof . Das Besucherbuch bietet eine gute Grundlage für künftige Ermittlungen in der Strafsache; insgesamt folgen fünf erneute Besuche: datiert vom 6.5. , 8.5. , 11.5. , 12.5. und 13.5.
*
Zwischen den Besuchszeiten wandert Ulrike schlaflos und untätig in der nunmehr beunruhigend leeren Wohnung in der Kufsteiner Straße umher. Raucht, trinkt: blättert ein wenig lustlos in Büchern. Blättert in Rosa Luxemburg:
Da es dazu just nach einem 6-tägigen Hungerstreik war, war ich so schwach, dass mich der Rittmeister (unser Festungskommandant) ins Sprechzimmer fast tragen musste und ich mich im Käfig mit beiden Händen am Draht festhielt, was wohl den Eindruck eines wilden Tieres im Zoo verstärkte. Der Käfig stand in einem ziemlich dunklen Winkel des Zimmers, und mein Bruder drückte sein Gesicht ziemlich dicht an den Draht. Wo bist du? frug er …
Denkt » Wo bist du?« Aber da müsste stehen: Was bist du? Denn so lautet die Frage, wenn sie aus dem Käfig, vom Gefangenen selbst, gestellt wird, für den es nur zwei Kategorien des Menschseins gibt: gefangen oder frei. Sie denkt an Bubi; dann an Andreas – gefangen ist er jetzt ihr Bruder. Sein Gesicht, diesmal durch Glas gesehen, ist furchtbar anzuschauen. Nicht, als ob man ihn geschlagen hätte, das wäre leichter zu ertragen; sondern als hätte er sich von innen her, Mal um Mal, Gewalt angetan, um ihr dieses Gesicht zu zeigen. ( Das ist es, was ich bereit bin, mit mir zu tun, und was bist du bereit zu tun? )
Also, Ulrike, was willst du sein? Mensch oder Schwein?
Denkt: Gefangen oder frei; Mensch oder Schwein.
Du brauchst dich nicht zu sorgen, Andreas. Was sie dir angetan haben, haben sie uns allen angetan. Wenn wir jetzt etwas tun, tun wir es zusammen.
Und Andreas’ Stimme, von jenseits des Panzerglases:
Horst hat eine Liste mit Personen, die bereit sind, etwas mit uns zusammen zu tun. Wenn du diese Liste siehst, weißt du auch, was getan werden muss.
*
Ulrike zu Besuch bei Rechtsanwalt Mahler. Verlangt die »Liste« zu sehen. Monika Berberich holt sie ihr. Ulrike liest:
Bäcker, Hans-Jürgen
Goergens, Irene
Grashof, Manfred
Homann, Peter
Meins, Holger
Raspe, Jan-Carl
Proll, Astrid
Schelm, Petra
Schubert, Ingrid
Wolff, Renate
Lauter bekannte Namen. Auf einem Extrablatt, mit dem ersten zusammengeklammert, folgt das Mitgliederverzeichnis des sogenannten » Sozialistischen Patientenkollektivs« dieses seltsamen Doktor Huber (früher mit Basis in Heidelberg, jetzt nach Vermittlung Mahlers auch mit einem Ableger in Berlin):
Mitglied Hausner (Sieg fried)
Mitglied Jünschke (Klaus)
Mitglied Müller (Gerhard)
Mitglied Möller (Irmgard)
Mitglied Roll (Carmen)
Mitglied Schiller (Margrit)
Die Liste endet mit einer Anzahl Personen, die lediglich mit ihren Rufnamen aufgeführt sind: » Ahmed« , »Mahmoud« , »Reza« . Denkt: Was ist denn das, gibt es denn Pläne, auch eine Filiale im Nahen Osten zu gründen? Sagt lediglich:
Wer sind denn die?
Aktivisten der El Fatah. Sie waren zu Besuch hier
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