Theres
Stachel auf dem Rücken aufgerichtet. Das Spiel wird abrupt beendet, als der algerische Kommandant – ihr könnt mich Achmed nennen – einen von ihnen dabei erwischt, den Viechern mit der Maschinenpistole den Garaus zu machen. Seine eigenen Soldaten verfügen über nicht mehr als zehn Kugeln pro Mann und Tag. Schlappschwänze , schnaubt Bäcker.)
Dann sind da die »Theoriestunden« mit Mahler, in der Hocke an der Hauswand sitzend. Ein Bild wie der Life entnommen: Ho Chi Minh bei der Erläuterung von Maos Worten über »den Tai-Berg«. Mahler mitseiner Militärmütze und seinem ungewaschenen schwarzen Bart immer Castro-ähnlicher. Ulrike memoriert verschiedene Abschnitte aus der Marighella-Bibel (Carlos Marighella: Minihandbuch des Stadtguerilleros , kürzlich in deutscher Übersetzung erschienen). Besondere Bedeutung misst Mahler dem Abschnitt bei, der mit Überraschungstechnik überschrieben ist und folgende vier Punkte enthält:
(1) Wir kennen die Umstände des FEINDES , gegen die wir unsere Angriffe richten. Der FEIND hingegen weiß nichts über den ANGREIFER .
(2) Wir kennen die Stärke des FEINDES . Der FEIND weiß nichts über die unsere.
(3) Durch Überraschungsattacken sparen wir an Kampfkraft. Der FEIND kann das nicht.
(4) Wir bestimmen die Zeit und die Planung des Angriffs, dessen Ziel und Dauer. Von all dem weiß der FEIND nichts.
Jeder Einzelne ist verpflichtet, sich die fünf Kardinalpunkte von Marighellas sogenannter Logistikformel einzuprägen. Kein Punkt ist ohne den anderen vorstellbar; jeder einzelne unumgänglich für die weitere Kriegsführung der Stadtguerilla. (Mahler: und die fünf Punkte sind …? )
Die Gruppe wiederholt:
(T)-TRANSPORTMITTEL
(G)-GELD
(W)-WAFFEN
(M)-MUNITION
(S)-SPRENGSTOFF
Hinzu kommt das individuelle ideologische Training. Sie stehen in Kampfstellung aufgereiht). Ulrike diktiert (wobei die Worte eingehämmert werden):
(Zunächst die Positionsbestimmung:)
Wir sind MARXISTEN .
(Dann die Abgrenzung zu den anderen:)
Dass die für die Sicherheit des Staates Verantwortlichen uns ANARCHISTEN nennen, ist nichts anderes als eine feindliche antikommunistische Brandmarkung.
(Der Kampf geht also weiter, und was ist das globale Anliegen des
Kampfes?)
Unermüdlich anzukämpfen gegen die Genozidstrategie der USA in Vietnam, deren Anspruch auf die Welthegemonie nur durch expansive militärische Operationen in der dritten Welt und die verfassungswidrige Unterdrückung aller politischen, ökonomischen und kulturellen Funktionen in der Bundesrepublik und Westeuropa realisiert werden kann.
FORMIERE DIE REVOLUTIONÄRE GUERILLA
HABE MUT ZU KÄMPFEN UND MUT ZU SIEGEN!
*
Und zwischendurch?
Revierkämpfe:
Alle zwanzig, Männer wie Frauen, wohnen in einem Haus mit vier Zimmern: kaum mehr als ein Betonbunker, halb eingesunken im steinigen Wüstenbett. Von diesen zwanzig scheiden sich – wie sich Wasser von Öl abscheidet – zwei von den restlichen achtzehn ab. Die beiden: Baader und Ensslin .
Baader scheint zu glauben, es gebe nur eine Möglichkeit, in die Khaki-Uniform hineinzuwachsen, wenn sonstige Fähigkeiten fehlen, nämlich sich eine ganze Garnitur von Launen und Allüren zuzulegen. Diese wären vielleicht noch erträglich, hätte Homann nicht zugleich eine akute klaustrophobische Angst entwickelt. Was soll das hier alles? wiederholt er Abend für Abend. In wessen Interesse agieren die? Agieren wir?
Zweifel kann jeder hegen, vorausgesetzt man behält sie für sich. Homann aber behält seine Ansichten nicht für sich; und unter Lebensumständen wie diesen, wo es eng ist zwischen Ohr und Wand, erreichen Homanns Zweifel in Form »feindlicher Anklagen« bald auch Baaders besonders gespitztes Ohr, und da Baader darauf erpicht ist, dass der Gang der Ereignisse zu seinem eigenen Vorteil führt, sorgt er sofort für eine Konfrontation mit dem »Verräter«. Baader (zum Verräter): Nun, was glaubst du, was das hier ist? Sich auf das Camp beziehend. Homann: Nach deiner Miene zu urteilen, eine Art Brutstätte für lokale Despoten. (Idiot! , zischt Ulrike zwischen den Zähnen .)
*
Als Achmed am nächsten Morgen mit Lebensmitteln und Munition erscheint, marschiert Baader sofort zu seinem Jeep. Zeigt mit dem Daumen in Homanns Richtung; sagt: He there, an Israeli spy!
Ulrike sieht es, alle sehen es. Auch Homann, der auf dem etwa zehn Meter entfernten Schotterplatz stehen geblieben war. Im Jeep streicht sich Achmed über den Bart, blickt mit ausdruckslosen braunen Augen von
Weitere Kostenlose Bücher