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Theres

Theres

Titel: Theres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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Petra und Margrit, als würdest du uns kennen?) Muss Klaus sein. Und sie denkt erneut an die Kinder, und warum es so wehtun muss. Noch immer, nach all der Zeit, ist die trübe Lebensschlacke in ihr wirksam; zieht und sticht, so als läge tief unter der Oberfläche etwas, das sie mit hinabziehen wollte:
    Wer – außer einer Handvoll Sympathisanten – hat noch Verständnis für den politisch-moralischen Impuls eures Handelns? Opfermut und Todesbereitschaft werden zum Selbstzweck, wenn sie nicht begreifbar gemacht werden können.
    Also: Lasst es uns begreifbar machen. Aktionen durchführen, die zeigen, dass der Zweck die Mittel heiligt. So dass auch dir, Renate, die Augen aufgehen für den Faschistenstaat, in dem wir leben, in dem wir die ganze Zeit gelebt haben. Nur du hast es nicht gesehen, bist blind gewesen, blind, blind, blind …

Ein Zeuge tritt auf

    Das Ereignis der Saison: Ruhland singt. Nachts liegt er in seiner Zelle und wird von Gewissensqualen gepeinigt. Tagsüber singt er. Kalbt wie ein Gletscher, lässt Stück für Stück bislang unbekannter Informationen in den warmen Medienstrom gleiten, kleine Abschnitte zur Ergänzung der anscheinend endlosen Folgen Die Baader-Meinhof-Bande von innen , einer Seifenoper mit Krimikomponente und einem nicht unbedeutenden, in jedem Fall erfrischenden Gossengeschmack:
    VERNEHMER 1: Herr Ruhland, können Sie so ausführlich wie möglich
von ihrer Beziehung zur Kerntruppe der RAF erzählen?
    BESCHULDIGTER: War ja klar: Man wusste, nach welchen Regeln man sich zu richten hatte. Egal, wo wir wohnten, wenn Andreas und Gudrun kamen, war es sozusagen selbstverständlich, dass ihnen die größten und besten Zimmer zustanden. Sie waren gewissermaßen König und Königin. So redeten sie auch darüber. Nannten es eine REVOLUTIONSEHE. Vor allem natürlich Ensslin. Baader sagte nie sehr viel. Falls er nicht gerade einen Wutanfall bekam und herumbrüllte. Meist ging das gegen die Jüngeren. Petra und Margrit nannte er Fotzen. Ich möchte hier darauf hinweisen, dass ich Fluchen und respektloses Gerede nie leiden konnte.
    V.1: Und Meinhof ?
    B.: Sie blieb meist für sich. Wenn sie auftauchte und sich in die Diskussionen der Gruppe mischte, wirkte sie immer irgendwie angeturnt. Kennen Sie den Ausdruck? Angeturnt? Gewissermaßen auf Touren.
    V.1: Wir verstehen, was Sie meinen, Herr Ruhland. Fahren Sie fort.
    B.: Man fühlte, dass es zwischen ihr und Andreas nicht so gut stand. Aber das zeigten sie nicht nach außen. Ulrike gab ihm immerrecht, drang darauf, dass wir das, was Andreas sagte, wirklich verstehen und uns zu Herzen nehmen sollten. Gerade so, als ginge es um irgendwelche verdammten Gebote.
    V.1: Ist ihnen das Wort Fußabtreter vertraut, Herr Ruhland?
    B.: Wie bitte?
    V.1: Jemand, an dem sich andere die Füße abtreten.
    B.: (…)
    V.2: Vielleicht ist Geisel das bessere Wort?
    B.: Ich verstehe immer noch nicht.
    V.1: Was mein Kollege meint, ist, dass die Gruppe Sie nicht so sehr wegen Ihrer Kompetenz und Ihrem Können – was, da bin ich mir sicher, beträchtlich ist –, gebraucht hat, sondern mehr als politische Legitimation. Sie gehören doch der Arbeiterklasse an, Herr Ruhland, nicht wahr?
    B.: Vermute, das kann man sagen, aber ich verstehe immer noch nicht, was…
    V.1: Spielt keine Rolle. Erzählen Sie noch mehr über das Verhältnis innerhalb der Gruppe. Gab es andere Spannungen, die Sie zu bemerken glaubten?
    *
    Herold folgt Ruhlands Vernehmungen aus der Ferne, durch die Mitschriften, die regelmäßig an sein Büro in Wiesbaden gehen. Ruhlands Angaben betrachtet er wohl am ehesten mit »skeptischem Interesse«. Dem Mann ist offensichtlich sehr daran gelegen, sich mit seinen Befragern gut zu stellen. Er greift deren Fragen vor und spickt seine Darstellung bereitwillig mit Details, von denen er vermutet, dass die Polizei sie hören will, spricht lang und breit von Baaders latentem Hang zur Gewalt, Ensslins Hysterie et cetera. Außerdem scheint er den größten Teil des letzten Halbjahres mit dem Studium von Zeitungen verbracht zu haben. Ganz offensichtlich ist er von der Revolutionsromantik angesteckt, die in den Journalen selbst bei den diskreditierendsten und hasserfülltesten Artikeln unterschwellig mitschwingt; bei einer Gelegenheit gibt er das auch offen zu:
    B.: Es war gerade so, als spiele man in einem Krimi mit. Die Waffen rein ins Auto, hupen und los. Sie verstehen, solche Filme, die man als Teenager geliebt hat: Gott sei dank ist man diesen Dingen jetzt

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