Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
Staccato.
Die Prinzipien, nach denen Thomas Mann seine Texte klanglich baut, sind letzten Endes konventionell, oder, um es positiver auszudrücken, klassisch. Grundlegend geht es immer um Harmonie und Balance. Alles muß im richtigen Verhältnis zueinander stehen – Langes und Kurzes, Hohes und Niederes, Schnelles und Langsames, Lautes und Leises, Wiederholung und Variation, Gleiches und Verschiedenes, Paralleles und Gekreuztes, Dramatisches und Episches, Erstarrtes und Gelöstes, Schock und Versöhnung. Eine federnde Gesamtspannung hält alles kontrapunktisch in der Waage. Mit Sorgfalt sind zentrifugale und zentripetale Kräfte austariert – in den kleinsten Einheiten wie in den größten, selbst wieder mehrere Systeme in sich enthaltenden. Das Kunstwerk bietet so, was die Welt nicht bietet: Noch die gräßlichste Einzelheit ist Teil eines Gleichgewichtssystems und quasi universaltheologisch gerechtfertigt. Thomas Manns Kunstarbeit transportiert einen Traum von Versöhnung. Die Perfektion seines Stils ist eine Wohltat auch dann, wenn inhaltlich von Tod und Verderben die Rede ist. Nicht die Lehren sind das Heilsame an der Kunst, sondern die Form ist es.
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Bibliothek
Thomas Mann liebte Bücher auch als schöne Gegenstände und hatte eine große und gepflegte Bibliothek.Es werden vor 1933 an die dreitausend Bände gewesen sein, von denen nur höchstens eintausend ins Exil gerettet werden konnten, und es waren beim Lebensende wieder an die viertausend, von denen 3330 heute im Thomas Mann-Archiv in Zürich stehen. Während für
Buddenbrooks
noch relativ wenige Bücher gebraucht wurden, weil die Familienerinnerung als wichtigste Quelle diente, nahm die Bedeutung von Spezialliteratur seitdem immer mehr zu. Für
Königliche Hoheit
wurde Finanzwissenschaftliches benötigt, für den
Tod in Venedig
Altphilologisches, für die
Betrachtungen eines Unpolitischen
Soziologisches, Politisches, Philosophisches und Literarisches, für den
Zauberberg
Medizinisches, für den
Felix Krull
Naturwissenschaftliches.[ 51 ] Für
Lotte in Weimar
wurde eine Menge Goethe-Literatur gelesen, beim
Doktor Faustus
dominiert Musikalisches, beim
Erwählten
Mediävistisches.
Die größte Einzelbibliothek jedoch sammelte sich für
Joseph und seine Brüder
an. Sie umfaßte rund sechzig Bände – Ägyptologisches, Altorientalisches, Alttestamentliches, Astrologisches und allerlei sonst Brauchbares.[ 52 ] Dazu kamen die üblichen Notizen- und Materialienkonvolute. Da Thomas Mann den Ehrgeiz hatte, daß seine Figuren stimmen sollten, durften sie nicht einfach aus der Luft gegriffen sein. Da die eigene Lebensproblematik nur noch für einen sehr schmalen Bereich als Quelle dienen konnte, waren in einem bisher unbekannten Maße Studien erforderlich, um den Figuren und Geschichten professionelle Plausibilität zu geben. Daß es sich dennoch nicht um einen archäologischen Roman handelt, steht aufeinem anderen Blatt. Die Psychologie der Figuren ist trotz allem modern, ja, es macht den Reiz des Romans aus, daß er Figuren schafft, die 1400 vor Christus oder noch früher gelebt haben müßten, und denen man trotzdem so nahe kommt, daß man sich weder Potiphar noch Echnaton, weder Rahel noch Rebekka, weder den minäischen Kaufmann noch den Amtmann über dem Gefängnis, weder Jaakob noch seine zwölf Söhne, jeden einzeln, nach der Lektüre des Romans noch anders vorstellen könnte als genau so, wie Thomas Mann sie geschildert hat.
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P.E.
Als 1977 der erste Band der Tagebücher Thomas Manns erschien, gehörte zu den Sensationen die Eintragung vom 6. Mai 1934:[ 53 ]
[…] vertiefte mich in Aufzeichnungen, die ich damals über meine Beziehungen zu P. E. […] gemacht. Die Leidenschaft und das melancholisch psychologisierende Gefühl jener verklungenen Zeit sprach mich vertraut und lebenstraurig an. Dreißig Jahre und mehr sind darüber vergangen. […] Das K. H.-Erlebnis war reifer, überlegener, glücklicher. Aber ein Überwältigtsein wie es aus bestimmten Lauten der Aufzeichnungen aus der P. E.-Zeit spricht, dieses «Ich liebe dich – mein Gott, – ich liebe dich!», – einen Rausch, wie er angedeutet ist in dem Gedicht-Fragment: «O horch, Musik! An meinem Ohr weht wonnevoll ein Schauer hin von Klang –» hat es doch nur einmal – wie es sich wohl gehört – in meinem Leben gegeben. Die frühen A. M.- und W. T.-Erlebnisse treten weit dagegen ins Kindliche zurück, und das mit K. H. war ein spätes Glückmit dem Charakter lebensgütiger
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