Thondras Kinder - Am Ende der Zeit
Nawárronn, dem Sturmgott, bei dem um seinen Segen gebeten wird.« Ariac versuchte, sich an die Feste zu erinnern, die er als Junge bei den Arrowann miterlebt hatte. »Zuerst wird ein Kreis aus Feuerholz um die beiden Eheleute gelegt. Die Eltern oder engsten Vertrauten treten mit in den Kreis, dann wird das Feuer entzündet. Der Vater der Braut legt die Hand seiner Tochter in die des Ehemannes, dann umwickelt er die beiden Hände mit einem der ledernen Bänder, die jeder Steppenclan besitzt. Dies symbolisiert, dass er sie nun in die Verantwortung eines anderen übergibt.«
»Rijana, was hast du?«, fragte Ariac erschrocken, als er sah, wie Rijana zu Boden blickte und offensichtlich mit den Tränen kämpfte.
»Mein … mein Vater wird nicht dabei sein, und so ein Band habe ich auch nicht …«, sagte sie heiser.
Liebevoll streichelte Ariac ihr über die Wange. »Das macht doch nichts. Es kommt immer wieder vor, dass ein Mädchen Waise ist, dann darf sie einen engen Vertrauten wählen, der die Stelle des Vaters einnimmt. Vielleicht möchtest du Broderick, Tovion oder …«
»Gut«, unterbrach sie ihn erleichtert, bevor er noch Falkann vorschlagen konnte, denn den würde sie auf keinen Fall erwählen. »Und was ist mit dem Lederband?«
Ariac dachte kurz nach. »Es sind uralte Bänder, die von weisen Frauen wie Warga gegerbt und mit Magie versehen wurden.« Voller Liebe sah er sie an. »Sie sollen angeblich den Seelen der Steppenleute dabei helfen, sich auch nach ihrem Tode wiederzufinden, wenn sie an der Seite Nawárronns über die
endlosen Weiten galoppieren. Vielleicht ist das bei uns überflüssig, weil wir ohnehin immer wiedergeboren werden, aber ich möchte trotzdem den Bund der Flammen mit dir eingehen.«
»Das möchte ich auch, es ist ein wunderschönes Ritual«, sagte Rijana ergriffen.
Nach kurzem Nachdenken meinte Ariac: »Warga werden wir wahrscheinlich nicht mehr treffen, bevor wir heiraten, aber wir haben genügend Zauberer hier. Du könntest Nelja, Brogan oder diesen kleinen Zauberer, der sich ständig mit Rudrinn streitet, fragen, ob sie dir so ein Band anfertigen können. Falls nicht, werden wir das Band der Arrowann nehmen, schließlich sind wir so etwas wie eine Ausnahme.«
»Ja, das ist eine gute Idee.«
»Nun gut, wenn Nawárronn die Verbindung segnet, lodern die Flammen hoch auf, bevor sie langsam herunterbrennen. Dann muss das Ehepaar durch das Feuer springen, um gereinigt ein neues Leben zu beginnen.«
»Wirklich?« Rijana wirkte überrascht, denn das einzige direkte Eingreifen der Götter in das Geschehen der Menschen hatte sie bisher nur erlebt, als Saliah und Falkann aus dem Reich der Toten zurückgekehrt waren.
Nun schmunzelte Ariac. »Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich Nawárronn ist, der die Flammen auflodern lässt, denn Leá hat mir einmal verraten, dass Warga beim Aufschichten des Feuerkreises immer die Äste des Althenen-Busches verwendet. Die fangen erst sehr viel später Feuer als normales Holz, doch dann lodern sie umso höher auf.«
Rijana lachte. »Das ist ja Betrug.«
»Vielleicht«, Ariac lächelte sie an, »aber die Paare sind immer sehr glücklich, wenn das Feuer auflodert, und die Verbindungen der Steppenleute sind meist von Liebe und Achtung geprägt.«
»So wird es bei uns auch sein. Aber, Ariac, werden deine Eltern
denn Saliah und die anderen mitfeiern lassen? Es ist doch ein Ritual der Steppenmenschen.«
»Selbstverständlich. Die Arrowann haben noch jeden freundlich aufgenommen, der ihnen wohlgesinnt ist.«
»Also gut.« Nun war Rijana ein wenig beruhigt. »Daran werde ich denken, wenn du fort bist.«
Ariac gab ihr einen Kuss auf die kalte Nasenspitze.
In den kommenden Tagen erschütterten immer wieder Erdbeben die Länder, und die Kälte riss nicht ab. Schließlich entschlossen sich Tovion und Nelja, zu Tovions Vater zu reiten. Sie schätzten, dass es nicht viel mehr als drei Tagesritte sein konnten. Trotz allem riet Rittmeister Londov ihnen ab. »Ihr könntet erfrieren. Gronsdale ist ein raues Land. Findet ihr keinen Schutz, seid ihr verloren.«
Aber Tovion wollte etwas unternehmen und seinen Vater wiedersehen, um ihn auf ihre Seite zu bringen.
»Rijana, Ariac, würdet ihr uns eure Umhänge leihen?«, fragte Nelja plötzlich.
»Warum habe ich nur nicht eher daran gedacht?«, schimpfte Tovion und schlug sich auf die Stirn. »Die werden uns vor der schlimmsten Kälte bewahren.«
Rittmeister Londov wiegte bedächtig den Kopf. »Ich weiß nicht
Weitere Kostenlose Bücher