Thorn - Die letzte Rose
entflammen wie denjenigen, der soeben aus einem Schrank gestürzt kam, um ebenfalls sein Glück zu versuchen. Drei Fackeln, die sich vor ihr krümmten, zuckten und schwarz und schwärzer wurden, bis sie verkohlt waren. Letztlich blieben von ihnen lediglich Silhouetten und ein wenig Asche übrig.
In jedem der Zimmer sah Thorn sorgfältig nach, auch auf dem Speicher. In jedem Schrank, unter jedem Bett, und selbst oder besonders die Kommode blieb nicht vor ihren suchenden Blicken verschont. Nicht das geringste! Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die beiden Stockwerke definitiv gesäubert waren, schlug sie den Weg zum Keller ein. Sie ahnte, der Meister verkroch sich dort, musste einfach dort sein. Hoffentlich. Ansonsten blieb ihr keine andere Wahl, als die ganze Gegend nach ihm durchzukämmen. Wenn sie dabei Pech hatte, blieb er unentdeckt, und heute Nacht versuchte er, seinen Clan neu zu gründen.
Mit aller nötigen Vorsicht öffnete sie die Kellertür und leuchtete hinunter. Überall Spinnweben, Ratten stoben an ihr vorüber, aufgeschreckt von dem Licht. Die richtige Gesellschaft für Sucker ...
Mit der Lanze voraus wagte sie sich die knarrenden Stufen hinab, die sich unter ihren Füßen bedrohlich bogen. Als wollten sie zusammenbrechen und mit ihr in die Tiefe stürzen.
Kein sehr glorreiches Ende, ging es ihr durch den Kopf. 57 Sucker gekillt, und ich breche mir das Genick ..
Sie versuchte sich zur Konzentration zu mahnen, jetzt erst ging es wirklich um Leben oder Tod.
Kaum hatte sie den Absatz erreicht, bekam sie einen Schlag mit einem spitzen Gegenstand von der Seite.
Ihr Schutzanzug bewahrte sie zwar vor der Stichverletzung. Die Wucht ließ sie taumeln, und eine ihrer Rippen knackte gefährlich. Aber Thorn fiel nicht, trotz des aufsteigenden Gefühls der Taubheit und der Schmerzen, von denen sie kaskadenhaft durchströmt wurde. Hinauf, hinab und wieder hinauf. Als hätte jemand ihre Hüfte an eine Steckdose angeschlossen und den Strom angestellt.
Geistesgegenwärtig stützte sie sich mit dem Rücken an der Wand ab; die grellen Kegel ihrer Stablampen an den Handgelenken wanderten nervös umher, tasteten alles ab, suchten und zerschnitten die Dunkelheit. Als im fahlen Licht eine schemenhafte Gestalt erschien, nicht mehr als ein flüchtiger Schatten, stieß sie blindlings zu!
Ein Schlag erscholl in der Dunkelheit, etwas fiel zu Boden. Der Widerstand hingegen, den Thorn spürte, bedeutete ihr, sie hatte getroffen. Zornig presste sie den vermeintlichen Meister - das Ding! - gegen die Wand. Kaum Gegenwehr, fiel ihr auf. Das wunderte sie; ein Meister war in der Regel hartnäckiger.
Interessiert leuchtete Thorn ihn frontal an - und erschrak!
Ein Mädchen!
Ein Kind!
Kaum älter als zehn. Etwa so alt wie sie damals, als Rotauge ihr Leben zerstört hatte. Mit blonden, schulterlangen Locken und in einem blutverschmierten Blümchenkleid: Das Blut der Opfer. Eine Axt lag daneben, mit der sie auf Thorn losgegangen war.
„Lass mich los!“, zischte es aus der verzerrten Kinderfratze, die längst nichts mehr mit einem Kind gemein hatte: wild zappelnd versuchte es den Speer aus ihrem Bauch zu ziehen, schlug vergebens darauf ein, brüllte wie von Sinnen und kreischte hysterisch in aufkeimender Todesangst.
Für einen Augenblick verharrte die Rosenritterin und horchte in sich hinein, ohne dem Mädchen zu gestatten, sich zu befreien. Weiterhin stemmte sie sich mit aller Kraft dagegen und ließ ihm keine Chance.
Kein Zweifel, versuchte sie ihre wilden Gedanken zu ordnen. Sosehr es ihr auch widerstrebte, es wahrzuhaben: Vor ihr stand der Meister. Der gottverfluchte, widerwärtige Meister!
Wie alt die Kleine war – bedeutungslos! Offenbar fuhr sie die ‚kleines Mädchen’-Masche, das sie zweifelsohne war, erschlich sich das Vertrauen Erwachsener, biss dann zu und machte aus ihnen Vasallen.
Üblich war es nicht, dass Kinder zu Meistern wurden, zum Glück nicht. Andernfalls hätte selbst Thorn längst gekündigt. Vermutlich war Meister des Mädchens, womöglich ihr Vater oder ihre Mutter, ums Leben gekommen, wodurch es in der Hierarchie vorgerückt war. Eine Aufgabe, die sie definitiv überforderte. Nur deshalb, begriff Thorn jetzt erst, war es ihr so leicht gefallen, das Nest auszuheben; andere, erfahrene Meister drillten ihre Brut wie eine paramilitärische Vereinigung.
Nein, keine Gnade!, sagte sie sich. Kein Erbarmen. Das durfte sie sich nicht leisten. Sosehr jeder Funke Gefühl in ihr auch danach verlangte
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