Thorn - Die letzte Rose
Rotauge die Jagd auf mich eröffnet hat?“, wollte sie stattdessen wissen.
„Ist mir neu.“
„Dann weißt du’s jetzt. Deshalb bin ich hier.“
„Oh nein – mit jemandem wie dem Ersten leg’ ich mich nicht an.“
„Bruno, du ...“
„Das wäre Selbstmord“, fuhr er ihr ins Wort, und der ängstliche Unterton in seiner Stimme ließ sie vibrieren. „Die Sucker sind übel genug, aber ...“
„Du musst!“ Widerspruch konnte sie nicht gelten lassen, nicht hier und jetzt. Es ging um Susanna; das bedeutete forcierte Ermittlungen. Dafür war Thorn bereit, mit den Wölfen zu heulen, wenn man sie verstehen wollte.
In knappen Worten erzählte sie von dem Überfall der vergangenen Nacht und von dem Streichholzbriefchen des BLUE MOON. Sie spielte mit offenen Karten und verheimlichte kein Detail, das Bruno möglicherweise wissen musste, wollte er herausfinden, wer hinter der Entführung steckte.
Mit einem knappen „Und?“ beendete sie ihren kurzen Bericht, doch dieses eine Wort drückte mehr aus, als eine ausufernde Rede imstande gewesen wäre. „Hilfst du mir?“
„Kommt darauf an, was für mich drin ist“, blaffte es zurück. „Was bietest du mir an?“
Abermals schickte sie ein Seufzen zum Himmel. „Für den Anfang erst einmal dein Leben. Dann sehen wir weiter.“
*
Während Thorns nachdenklicher Blick über den Aachener Weiher streifte, dessen glasklares Wasser die kalte, dafür umso grellere Sonne widerspiegelte, war sie sich sicher, sie würde mit Bruno schon einig werden.
Doch manchmal musste sie eben hart und unnachgiebig sein. Jemand wie Bruno, der von den Menschen getreten, geschlagen, gefoltert und misshandelt worden war, einfach weil er sich ernähren musste, trug eine natürliche Abneigung gegen den Homo sapiens in sich, von denen er einst einer gewesen war. Jedes Mal hatte er es überlebt, oft mit mehr Glück und Verstand. Doch obwohl man gemeinhin einem Vampir jegliches Gefühlsleben absprach, war Thorn sich darüber im Klaren, auch Bruno trug die Wunden noch in sich. Mittlerweile waren sie zu Narben geworden, würden jedoch bei der erstbesten Gelegenheit wieder aufbrechen und dann mehr schmerzen denn je.
Indem sie ihm die sprichwörtliche Pistole an die Brust hielt, trug sie zwar nicht unbedingt dazu bei, dass die menschliche Rasse in seinem Ansehen stieg. Andererseits - die Zeit drängte. Rücksicht war da fehl am Platz. Darüber hinaus war sie sicher, irgendwie würde auch Bruno auf seine Kosten kommen, irgendwie würde sie ihn entschädigen.
Momentan zählte nur, ihre Drohung wirkte.
Um elf Uhr abends sollte sie ihn treffen. Bis dahin würde er sich umgehört haben. Der Treffpunkt, ein Schrottplatz in Köln-Kalk, kam ihr zwar alles andere als koscher vor und war für eine Falle geradezu ideal, trotzdem hatte sie eingewilligt. Ebenso in seine zweite Forderung: Auf jeden Fall dürfe sie dort nicht in ihrem Geländewagen aufkreuzen, sonst sei das Geschäft geplatzt. Ihr Gefährt war in Vampir-Kreisen mittlerweile etwa so bekannt wie die Blutgruppe des Papstes; Bruno wollte nicht riskieren, mit ihr gesehen und in Zusammenhang gebracht zu werden.
Egal! Würde sie sich eben einen Wagen mieten oder sich einen aus dem Fuhrpark des Erzbischofs ausliehen.
Weitaus schwerer lag ihr im Magen, dass sie hierher, in die Cafeteria des Museums für Ostasiatische Kunst, zitiert worden war. Weshalb, sie hatte keine Ahnung! Nicht einmal, wer ihr die Nachricht auf der Mail-Box ihres Computers hinterlassen hatte. Nur so viel war klar: Er musste einerseits wissen, sie befand sich in Köln, andererseits musste er Zugang zum internen Netz der ROSE haben, wo Thorn ihren aktuellen Aufenthaltsort angegeben hatte. Das schloss einen Blutsauger mit Durst aus und grenzte den Kreis erheblich ein. Es musste sich um einen Mitarbeiter der ROSE handeln, vielleicht ein anderer Ritter oder Knappe, weil er entweder ihre Unterstützung brauchte oder Informationen für sie hatte.
Ihr grüblerischer Blick blieb an der steinernen Skulptur ‚Fahne im Wind’ eines japanischen Bildhauers kleben, für die eigens eine kleine Insel im Aachener Weiher angelegt worden war. Auch weshalb diese Plastik von allen Seiten bewundert wurde, erschloss sich Thorn nicht. Sie fand sie einfach nur nichtssagend und ausdruckslos. Während ihrer Lehrjahre, die sie unter anderem auch in Japan verbracht hatte, hatte sie weitaus anmutigere Kunstgegenstände aus asiatischen Händen und Köpfen bewundern dürfen. Wahrscheinlich war der
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