Thorn - Die letzte Rose
Künstler überzeugt gewesen, für simple Gaijin-Seelen genügte ein Abfallprodukt seiner Kunst.
Obwohl hier in Köln ein sonniger Tag war, stiegen die Temperaturen kaum an. Die Kühle ließ auf den nahenden Herbst schließen. Außer zwei älteren Herren an einem der Nebentische war Thorn allein auf der Terrasse und schlürfte ihren Cappuccino; die übrigen Gäste saßen im Inneren der Cafeteria und bewunderten durch die Glasscheibe den Weiher, im Warmen.
Sie langweilte sich. Auch das Museum konnte sie nicht locken. Ganz zu schweigen davon, dass sie einfach nicht den Kopf frei und infolge dessen auch keine Muse hatte, hatte sie es schon mehrfach besucht. Auch die Sonderausstellung ‚Asiatische Götter und Mythen’ kannte sie längst.
Fast hätte sie sich gewünscht, es sei Nacht und sie werde von einem Sucker-Clan angegriffen. Möglichst mit einem geschickten, erfahrenen Meister an der Spitze, der seine Vasallen zur paramilitärischen Vereinigung geformt hatte und dessen höchstes Ziel nun darin bestand, in Rotauges Ansehen zu steigen, indem er ihm den Kopf seiner Erzfeindin zum Geschenk machte. Eine ernsthafte Herausforderung hätte es sein dürfen; ein Kampf, bei dem Thorn gefordert wurde und ins Schwitzen kam. Eine Auseinandersetzung auf Leben und Tod, in der ...
„Sind Sie Signorina Thorn?“
Ihr Phantasiegemälde zerplatzte wie eine Seifenblase, als sie ihren Namen vernahm. Ruckartig wandte sie den Kopf, automatisch fuhr ihre Hand unter den Mantel und legten sich um den Knauf der Pistole.
Hinter ihr stand ein relativ junger Mann, höchstens zwanzig. Er war recht klein gewachsen, auf seinem Kinn spross zaghaft ein Ziegenbärtchen, und das dunkle Haar fiel ihm locker über die Schultern. Helle Augen funkelten sie unter einem breiten Stetson an.
Überhaupt sah er aus, als sei er direkt aus einem Western geflohen: Zu dem Hut trug er Jeans, Cowboystiefel und einen dunklen Staubmantel, wie man ihn gelegentlich in Filmen mit John Wayne und Konsorten beobachten konnte. Es hätte Thorn nicht gewundert, wenn er darunter zwei Pistolengürtel getragen hätte.
Was jedoch weitaus entscheidender war - sie sah dem Burschen sofort an, dass er für die ROSE arbeitete, wenn auch nicht, in welcher Funktion. Garantiert war er kein Schreibtischtäter wie Urbanski, der widmete sich lieber seinen Akten und der bequem-ungefährlichen Bürokratie. Es gab kein geheimes Erkennungszeichen, weder eine Geste noch ein Signet, doch von ihm ging eine unbestimmte Aura aus, die Thorn sofort von der Richtigkeit ihrer Vermutung überzeugte. Keine Gefahr also, wie es schien. Ihre Rechte kam unter dem Trenchcoat hervor und legte sich artig auf den Tisch.
„Ja?“, meinte sie abwartend.
„Ich bin Philip Cesaro“, stellte sich der Gun-Man auf Deutsch vor, obwohl sein Akzent vermuten ließ, er war Schweizer.
„Schön für Sie. Und?“ Sie beschloss, ihn langsam wie einen Oldtimermotor kommen zu lassen.
„Von mir stammt die Nachricht.“
Das hatte sie sich gedacht.
„Ich bin Knappe.“ Seine Stimme wurde leiser, fast mysteriös, während er einen der Stahlrohrstühle zu sich zog und sich verkehrt herum darauf niederließ, sodass er die Lehne vor seiner Brust hatte.
Dabei gelang Thorn ein Blick unter seinen Mantel. Sie hatte den Nagel mitten ins Gesicht getroffen: Er trug wirklich zwei Pistolenhalfter; darin steckten silberbeschlagene Waffen, in denen sich für einen Augenblick das grelle Sonnenlicht widerspiegelte.
„Sie werden mich nicht kennen“, fuhr er fort, „aber als ich erfahren habe, Susanna Sinclair wurde entführt ...“
„Sie kennen Susanna?“ Prüfend hob sie eine Braue und suchte im Gesicht ihres Gegenübers ein verräterisches Zucken.
„Susanna ist ...“ Er schluckte, seine Stimmbänder schienen verknotet zu sein. Er musste sich erst überwinden und sich sagen, wenn er vor irgendeiner Person auf der Welt keine Geheimnisse haben durfte, dann vor der Rosenritterin. Dann ließ er die Bombe platzen: „Cesaro war Susannes Mädchenname. Sie ist meine Mutter.“
„Das kann nicht sein“, stieß Thorn aus einem Reflex hervor. Sie kannte Susanna Sinclair, seitdem sie Magnus’ Mündel geworden war: eine dunkelhaarige Frau Mitte vierzig von zeitloser Eleganz. Auch noch in zwanzig Jahren würde sie so manchen bewundernden Blick aus Männeraugen einfangen, selbst wenn ihre Haut dann faltig und ihr Haar grau geworden war. Bei keinem ihrer Besuche hatte Susanna auch nur eine Silbe über einen angeblichen Sohn verlauten
Weitere Kostenlose Bücher