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Thorn - Die letzte Rose

Thorn - Die letzte Rose

Titel: Thorn - Die letzte Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kastenholz
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zerstreut fuhr sie sich durchs weiße Haar, atmete tief durch und schleuderte ihre brennende Zigarette davon. Dann senkte sie wieder ihren Blick und trat durch das große, mit hellem Stein gemauerte Tor.
    Die Wege auf Melaten waren aufgeweicht. In den letzten Tagen hatte es offenbar geregnet, und bei jedem Schritt schienen Thorns Stiefel vom Matsch angesaugt zu werden. Mit sauberen Schuhen verließ dieser Tage niemand den Kölner Zentralfriedhof. Dabei hielten vor allem die hohen, mächtigen Linden, Eiben, Ebereschen und Birken die meisten Niederschläge vom Boden ab. Doch auch sie schritten auf dem Pfad des Vergänglichen, verloren allmählich ihr Laub, um ihm kommenden Frühling umso heftiger wieder zu gedeihen.
    Dicht an dicht drängten sich die teils spartanischen, mitunter aber auch pompösen und oft genug sogar fast kitschigen Grabsteine zu beiden Seiten des Wegs aneinander. Schmückende Inschriften gaben Auskunft über die werte Verwandtschaft, die hier ihre letzte Ruhe für die Ewigkeit gefunden hatte. Und wenn schon nicht für die Ewigkeit, so doch spätestens bis in einigen Jahren, wenn die Verwaltung ‚abräumen’ ließ und aus Platzgründen obendrauf beerdigte. Doch daran war jetzt noch längst nicht zu denken.
    Sobald Thorn den historischen Teil des Friedhofs betrat, fand sie hohe, kolossale Grabdenkmäler vor, wie sie heutzutage längst aus der Mode gekommen waren, weil man mit seinem Reichtum nicht übermäßig angeben, sondern ihn stattdessen lieber genießen wollte. Manche der Monumente waren derart imposant, dass Thorn vor Jahren, als sie zum ersten Mal auf diesem heiligen Boden herumgeschlendert war, andächtig davor stehen geblieben war. Immerhin existierte Melaten bereits seit dem Jahr 1810; wer immer in Köln etwas zu sagen gehabt hatte, hatte hier seine Ruhestätte gefunden. Damals war es Brauch gewesen, dass sich die Erben nicht lumpen und dem teuren Verblichenen ein Monument erbauen ließen. Oder - falls man seinen Erben misstraute -, gab man es selbst schon zu Lebzeiten in Auftrag. Das Leben war derart kurz, indem man sich ein Denkmal setzte, versuchte man zu gewährleisten, dass sich auch zukünftige Generationen seiner erinnerten.
    Manchmal waren es dagegen die kleinen Dinge, die halb verwitterten steinernen Engel und Skulpturen oder der legendäre Sensenmann, vor denen man weitaus beeindruckter verharrte als vor der bombastischsten Gruft.
    Mittlerweile war Melaten zwar immer noch beeindruckend und doch nur ein Schatten alter Pracht. Während der Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg waren auch hier zahlreiche Bomben eingeschlagen und hatten unwiederbringlichen kunsthistorischen Schaden angerichtet. Doch diese Schäden waren leichter zu verschmerzen als die an Menschenleben.
    Fast romantisch erstreckte sich eine Allee neben der anderen, abgewechselt von Rasenflächen und Gebüsch. Fast hätte man vergessen können, dass es sich um einen Friedhof handelte. Es war nicht nur ein Heim für die Toten, sondern auch eine der größten ökologischen Nischen der Großstadt. In manchen Teilen glich der Friedhof einem Park und wurde dementsprechend als Naherholungsgebiet genutzt. Von überall ertönte das Zwitschern der Vögel, gelegentlich huschte ein Eichhörnchen über den Weg, und an die Heerscharen von Ratten, die nachts aus ihren Verstecken kommen würden, dachte Thorn nur mit Grausen. Wahrscheinlich würde ihnen niemals die Nahrung ausgehen. Ebenso wenig wie den Ghouls.
    Als sie in die Millionenallee kam, wechselte der Boden von aufgeweichter Erde zu Kies; notdürftig rieb sie sich an den hellen Steinchen den Matsch von den Stiefeln
    Sie war am Ziel.
    Direkt vor ihr erhob sich die Fischer-Gruft: Ein wuchtiger Obelisk aus grauem Stein bildete ein Portal zum darunter liegenden Grabgewölbe. Über dem mit einer massiven Tür versperrten Eingang prangte ein Kreuz. Rundherum befand sich eine Einfriedung, ein Mäuerchen, auf dem Gedenkplatten zur Stirnseite hin Auskunft darüber gaben, welche Familienmitglieder dem Gründer, Nathaniel Fischer, auf diesen letzten Weg gefolgt waren. Hinter dem Obelisken, an der rückliegenden Seite, stand scheinbar undurchdringliches Gestrüpp, eine akkurat gestutzte Hecke, die ein Geheimnis barg.
    Verstohlen sah sich Thorn um wie eine Ladendiebin. Niemand zu sehen. Umso besser. Sparte sie sich einen weiteren Rundgang, um auf eine günstigere Gelegenheit zu warten.
    Vorsichtig, jeden Schritt abwägend, als betrete sie ein Minenfeld, ging sie die Stufe hoch zum Vorplatz

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