Thorn - Die letzte Rose
Vater-Ersatz und Mentor. Danach Isaak Black. Wenigstens war Francine de Bors, Blacks Ex-Frau und Mörderin, nicht ungestraft entkommen; ihre Asche wurde in Köln und Umgebung vom Wind verteilt. Ihr Geist möge bis in alle Ewigkeit ruhelos umherwandern und niemals Erlösung finden.
Und jetzt auch noch Takenaka-san!
Wohin sollte das noch führen?, fragte sich Thorn nicht zum ersten Mal, seitdem sie ihre Schwerter trug.
Und vor allem: Wann würde es sie erwischen? Wann war die Reihe an ihr, das Leben zu verlieren, viel früher, als im Buch der Prophezeiungen vorgesehen? Irgendwann würde es soweit sein, unvermeidlich. Vermutlich stand ihr Name bereits jetzt auf Asraels Todesliste viel weiter oben, als es für eine Frau Mitte zwanzig sein sollte. Der Name jedes Rosenritters kam auf seine Liste, sobald er sich für diesen Weg entschied.
Und es würde ein gewaltsamer Tod sein.
Ganz sicher. Sie kannte keinen Kollegen, der friedlich im Bett gestorben war. Das Los eines jeden Rosenritters. Auch gut. Man wusste wenigstens, wofür man lebte - oder bildete es sich zumindest ein. Im Prinzip wollte man es gar nicht anders, man war von niemandem auf diesen Pfad gezwungen worden, ausgenommen vielleicht vom Schicksal und der Bestimmung, gegen die sich niemand zur Wehr setzen konnte.
Weshalb sonst begab man sich permanent in Gefahr, war man der ROSE beigetreten und machte erbitterte Jagd auf Vampiren? Weshalb sonst setzte man alles daran, selbst das eigene Leben, sie zur Strecke zu bringen?
Weil man sich einbildete, damit die Welt ein wenig lebenswerter, besser zu machen?
Letztendlich, ging es ihr durch den Kopf, wenn die Reihe an einem selbst war, hatte man nicht mehr das Geringste davon. Nur noch Qual, Leid und Tod. Ließ es sich womöglich einfacher sterben, wenn man wusste, wofür man gelebt hatte? Weil man nicht nur versucht hatte, einen Baum zu pflanzen, ein Haus zu bauen und einen Sohn zu zeugen, sondern aktiv versucht hatte, seinen Mitmenschen zu helfen?
Lächerlich! Im Augenblick des Todes war das zur Nebensache geworden, war nur noch der eigene Schmerz von Bedeutung, der sich im Körper einbrannte. Der allmählich elendig verging, während der Geist ständig von den einströmenden Todesimpulsen malträtiert wurde, als befinde er sich bereits im höllischen Fegefeuer. Man wusste, wann die Stunde geschlagen hatte, und doch war man außerstande, das Geringste dagegen zu unternehmen, konnte nur inständig hoffen, dass endlich der letzte Funke Leben wich und die Qualen ein Ende fanden.
Auf eine neue, eine hoffentlich bessere Existenz! Wo und wann auch immer ...
Die dunklen Regenwolken, die sich am abendlichen Himmel hoch über ihr auftürmten, schienen bezeichnend für Thorns Verfassung zu sein. Am liebsten wäre sie dem Sensei kurzerhand gefolgt, hätte eine ihrer Klingen gezogen, sie am Boden angesetzt und sich hineinfallen lassen.
Jedoch nur für einen Moment! Nicht länger! Dann hatte sie sich besonnen und eingesehen, dies war keine Lösung. Selbst wenn die Lage noch so aussichtslos schien - das Leben ging tatsächlich weiter. Immer! Es handelte sich dabei nicht nur um einen dummen, abgehalfterten Spruch, der falschen Trost spenden sollte, er entsprach tatsächlich der Wahrheit. Sich nur nicht aufgeben. Um keinen Preis. Und falls doch, dann jedenfalls nicht jetzt.
Natürlich, Thorn war erfüllt von Trauer. Tiefe Trauer, die sich anfühlte, als würde sie davon zerfetzt werden. Andererseits, es war nicht das erste Mal in ihrem jungen Leben, dass sie einen liebgewonnenen Menschen verlor. Und bestimmt auch nicht das letzte Mal. Ständig verlor man Weggefährten an die Vampire, die man bekämpfte. Trotzdem: Gewöhnen würde sie sich niemals daran.
Der Blick, mit dem Thorn das große Haus vor ihr musterte, schien ein wenig ängstlich zu sein, und wenn schon nicht ängstlich, so doch geprägt von tiefem Respekt.
Das Gebäude stand einsam, weit und breit befand sich außer einer Handvoll verkrüppelter Kiefern und Felsbrocken nichts, das den Blick aufs weite Meer verdeckte. Ein altmodisches japanisches Haus mit abgerundetem Dach, fast ein wenig wie eine Pagode oder ein Tempel, inklusive einem angedeuteten Türmchen. Ein vermeintliches Monument für die Ewigkeit an der dämonisch wütenden Küste von Hokkaido und das Refugium von Takenaka Kiyoshi.
Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts gehörte Hokkaido de facto zu Japan, erst damals war es verstärkt besiedelt und faktisch entdeckt worden. Gerade deshalb war das Bild
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