Thorn - Die letzte Rose
Thorn, eine Schwester.
Sie grub ihre Zähne in die Unterlippe, bis sich der etwas metallische Geschmack von Blut in ihrem Mund verteilte.
Sie war hier, um ein Versprechen einzulösen.
*
Takenaka Kyoshi gab ihr den Namen Ryuki - Jagd!
Möglicherweise war es kein sehr guter Name, das hatte er nie behauptet, doch er schien bezeichnend zu sein für das Leben und die Zukunft, die er für sie vorsah. Er hatte sie dazu ausersehen, irgendwann seinen Platz bei der ROSE einzunehmen und sollte seine Nachfolgerin werden, falls der Meister der Sense ihn fällte, seinen Körper aufschlitzte und die Seele an die Ufer des Styx schleuderte, wo er sie sich selbst überließ.
Falls? Es war fast sicher, irgendwann würde er von einem Auftrag nicht mehr zurückkommen. Und vermutlich hatte er schon damals, als er Ryukis Leben gerettet hatte, sein unvermeidlich bevorstehenden Ende erahnt.
„Wie ich dich kenne bist du immer noch davon überzeugt, es war richtig, sie als Tochter anzunehmen“, hallten Magnus’ Worte wie ein Echo der Vergangenheit in Thorn wider, während sie in ihren Erinnerungen zu dritt auf der Terrasse saßen.
Das Dach schützte sie vor dem sanften Nieselregen, sie tranken grünen Tee und aßen dazu Reisplätzchen. Sie waren ein wenig hart geraten; Thorn musste den Bissen mit einem Schluck Tee in den Mund nehmen, sodass das Gebäck ein wenig aufgeweicht wurde.
Gemeinsam beobachteten Takenaka, Bruder Magnus und sie, wie Ryuki draußen auf der Klippe saß. Deutlich zeichnete sich ihre Silhouette vom wildwütend tosenden Sturmhimmel ab. Versonnen blickte sie aufs Meer hinaus, umgeben vom Orkan, der hier vierundzwanzig Stunden täglich, 365 Tage im Jahr sein Unwesen trieb. Und in Schaltjahren sogar noch ein wenig länger.
Die Vampirin ließ sich vom Wind umspielen, packen und gefangen nehmen, schien es zu genießen, nass zu werden, weil sie keine Grippe bekommen konnte.
„Absolut“, nickte Takenaka, gänzlich von seiner Entscheidung überzeugt. In seinen Augen blitzte es auf - voller Stolz und Zufriedenheit. Wie immer, wenn die Sprache auf sie kam.
„Sie ist ein Vampir!“, beharrte Magnus, und drei tiefe Sorgenfalten gruben sich in seine Stirn. Zum Zeichen seines Gelübdes hatte er sich den Kopf rasiert, was ihm einen nur umso grimmigeren Ausdruck verlieh. „Früher, als du sie aus ihrer Mutter geschnitten hast, mag sie vielleicht niedlich gewesen sein ...“
„ ... heute ist sie wunderschön.“
Der Franziskaner knurrte etwas Unverständliches und verweigerte ihm eine Antwort. Selbst wenn Ryuki die schönste Frau des Universums gewesen wäre, er hätte es geleugnet, denn gleichzeitig war sie auch eine Vampirin. Viel zu viele grässliche Erfahrungen und Scheußlichkeiten verband er mit ihresgleichen Art, um ihnen einen winzigkleinen positiven Funken abzugewinnen.
„Sie ist noch ein halbes Kind.“ Takenaka hatte die Arme vor der Brust miteinander verwoben.
„Mehr und mehr wird sie eine von ihnen“, erwiderte der Mönch prompt, nicht bereit, nachzugeben. Er hatte seine Entscheidung gefällt, und dafür trat er auch ein.
„Würdest du Tatjana“ – sein Blick streifte Thorn, die auf den Stufen der Veranda saß – „aufgeben, wenn sie von einem Vampir infiziert wird? Würdest du sie einfach fallen lassen, wenn aus ihr eine der Brut wird?“
„Natürlich nicht“, schüttelte er vehement den Kopf. „Ich würde …“
„Na also.“ Ein schales Grinsen tauchte im schmalen Gesicht des Japaners auf, um gleich darauf wieder zu verblassen.
„Ich würde versuchen, ein Gegenmittel zu finden, irgendeinen Weg, die Verwandlung aufzuhalten oder rückgängig zu machen.“
„Und?“ Skeptisch hob er beide Brauen. „Du weißt selbst, es gibt kein Gegenmittel. Würdest du Tatjana also kaltlächelnd umbringen? Obwohl du weißt, eigentlich ist sie tot, seitdem sie gebissen wurde?“
Magnus erwiderte nichts darauf, was der Japaner als Sieg seiner Argumente interpretierte, ohne sich allerdings daran zu berauschen. „Man weiß nie im vornherein, was aus seinem Knappen wird. Man weiß ja nicht einmal, was aus einem selbst wird!“
„Aber Ryuki scheint mehr und mehr zur Meisterin zu werden“, wandte der Mönch ein. „Ihre Fähigkeiten werden immer größer, und irgendwann wird auch ihre Blutgier erwachen. Was, mein Freund, wenn sie irgendwann den letzten, den entscheidenden Schritt über die Grenze macht und ihrer Bestimmung folgt?“
„Dann werde ich es bereuen.“ Der Klang seiner Stimme
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