Thors Valhall
Promille haben die Blutwerte ergeben“, berichtete Carol, sie trug ein paar Unterlagen bei sich. Es stand ganz außer Frage, dass sie jede ärztliche Anweisung und Maßnahme in diesem Krankenhaus überprüfen würde. So hatte sie es vor langer Zeit mit Dylan besprochen. Genau genommen war sie ganz allein für seine Versorgung verantwortlich.
„So viel?“ Tony konnte es kaum glauben.
„Zudem sind seine Leberwerte erhöht, seine Saufexzesse machen sich langsam bemerkbar.“
„Mein Gott!“ Tony fuhr sich über das Gesicht. Seine Selbstvorwürfe wurden immer größer. „Wie oft habe ich ihm gesagt, er soll zwischen den Touren nichts trinken? – Aber er hört ja nicht mehr auf mich.“ Tränen schossen ihm in die Augen. Wie absurd ihre Regelung war, musste man ihm nicht sagen. Doch ihm war es immer lieber gewesen, dass Dylan Phasen des Extrem-Trinkens hatte und auf Anweisung sofort damit aufhören konnte, als ihn ständig für seine Exzesse zu tadeln. Aber jetzt war wohl der Punkt angelangt, an dem sich Dylan selbst nicht mehr zu kontrollieren wusste.
Tony wich Carols Blick aus und starrte stattdessen auf Cay, der wie ein Häufchen Elend auf einem der Stühle im Gang saß und traurig zu Boden sah. „Cay, bitte, fahr‘ zurück in den Bungalow, informiere Angus und Clifford. Mehr können wir derzeit nicht tun.“
Cay nickte, kam schwer auf die Beine.
„Das wird schon wieder“, tröstete Tony. Er klopfte Cay auf die Schulter. „Danke nochmals für deine Hilfe.“
Der Junge verschwand. Tony sah ihm noch hinterher und war froh, dass er gegangen war. Cay war zwar volljährig, doch längst nicht erwachsen genug, um den Ernst der Lage begreifen zu können. Wahrscheinlich war er deswegen ein Groupie. Er war gefügig, anhänglich, vielleicht auch ein wenig einfältig … und körperlich gesehen hätte er auch als 16-jähriger durchgehen können.
„Das EEG zeigt zum Glück keine Veränderungen“, berichtete Carol weiter.
Tony atmete auf. Er mochte sich kaum vorstellen, was es bedeuten könnte, hätte Dylan irgendwelche Schäden davongetragen.
„Und was machen sie nun mit ihm?“
„Ich werde mich auf jeden Fall darum bemühen, dass er weitere Untersuchungen bekommt. Wir sollten die Gelegenheit nutzen und ihn endlich mal gründlich durchchecken.“
Tony nickte, ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Schon lange hatten er und Carol den Wunsch geäußert, dass Dylan sich ärztlich untersuchen lassen sollte. Viel zu oft war es in den vergangenen Jahren zu außergewöhnlichen Zwischenfällen gekommen, in dem Dylan aggressives und psychotisches Verhalten gezeigt hatte. Auch wenn Tony noch immer nicht glaubte, dass Dylan grundliegend gestört war, beruhigte ihn diese Nachricht. Dylan war nie gerne zum Arzt gegangen, nun konnte er sich dem wohl nicht entziehen.
„Willst du nicht Thor informieren?“, fragte Carol dann. Sofort schwand das zuversichtliche Gefühl in Tony. Fahlstrøm, diesen Typen hatte er gerade erfolgreich aus den Gedanken verband.
„Wieso sollte ich? Damit er uns wieder aufzeigen kann, wie unfähig wir sind und dass alles nur unsere Schuld ist?“
Carol seufzte. „Wer sich gerade wieder aufregt, bist du …“ Sie sah Tony bittend an. „Dylan würde es wollen, wenn wir ihn unterrichten. Immerhin sind sie doch irgendwie …“
„Jetzt sag‘ nicht, dass sie ein Paar sind, das wäre mir neu!“, fauchte Tony. „Dass sie miteinander vögeln, sagt überhaupt nichts aus!“ Er zückte sein Handy. „Ich informiere Erik, das wird wohl ausreichen.“
Eine weitere Stunde war vergangen. Inzwischen hatte man Dylan abermals untersucht und seinen Kopf einem speziellen Röntgenverfahren unterzogen. Ein weiterer Krampf war nicht aufgetreten, dennoch war Dylan noch immer nicht wach.
Während Carol erneut mit den Ärzten sprach, setzte sich Tony auf den Flur, dabei den Blick in Dylans Zimmer gerichtet und trank einen Kaffee, bis er plötzlich Thor Fahlstrøm bemerkte, der mit eiligem Schritt auf ihn zusteuerte.
„Sehr nett von euch, mich als Letzten zu informieren!“, hallte es über den Flur. Tony kam sofort auf die Beine.
„Hast du etwa erwartet, dass wir dich als Ersten anrufen? Du bist doch der Grund, warum Dylan in diesem Zustand ist.“
Thor stand ihm jetzt genau gegenüber. Seine blauen Augen funkelten bedrohlich.
„Ach, ja? Hat er das gesagt?“
„Nein, aber es ist offensichtlich“, erwiderte Tony. Er nahm etwas Abstand. Er wollte nicht riskieren, dass Fahlstrøm endgültig
Weitere Kostenlose Bücher