Throne of Glass – Die Erwählte
er sie, bis sie den Blick abwenden musste. »Seid Ihr wirklich so eingebildet?« Sie bebte vor Zorn, aber er sprach weiter. »Es war dumm, hier mit Euch zu kämpfen. Ich gebe zu, dass mir nicht klar war, wie gut Ihr seid. Zum Glück hat es niemand bemerkt. Und wollt Ihr wissen, warum, Lillian?« Er trat einen Schritt näher und senkte die Stimme. »Weil Ihr ein hübsches kleines Mädchen seid. Weil Ihr eine dahergelaufene Juwelendiebin aus einem Kaff in Fenharrow seid. Seht Euch doch um.« Er drehte sich halb zu den anderen Champions. »Starrt Euch jemand an? Taxiert Euch einer von ihnen? Nein. Weil sie keine echte Konkurrentin in Euch sehen. Weil Ihr nicht zwischen ihnen und der Freiheit und dem Wohlstand steht, auf den sie aus sind.«
»Ganz genau! Es ist demütigend!«
»Es ist klug, nichts anderes. Und Ihr werdet Euch den ganzen Wettkampf über bedeckt halten. Ihr werdet Euch nicht hervortun und keinen dieser Diebe, Soldaten und unbekannten Assassinen vernichtend schlagen. Ihr werdet schön im Mittelfeld bleiben, woEuch niemand bemerkt, weil Ihr keine Bedrohung seid, denn sie werden glauben, dass Ihr früher oder später ohnehin ausscheidet, und sich darauf konzentrieren, größere, stärkere und schnellere Champions wie Cain loszuwerden.«
Chaol legte eine Pause ein. »Aber Ihr werdet sie überdauern«, fügte er hinzu. »Und wenn sie am Morgen des letzten Zweikampfs aufwachen und sehen, dass Ihr ihr Gegner seid und dass Ihr sie geschlagen habt, dann wird ihr Gesichtsausdruck alle Demütigungen und mangelnde Aufmerksamkeit aufwiegen.« Er bot ihr die Hand, um sie hinauszuführen. »Und? Was habt Ihr dazu zu sagen, Lillian Gordaina?«
»Ich kann selbst auf mich aufpassen«, erwiderte sie leichthin und ergriff seine Hand. »Aber ich muss zugeben, Ihr seid ziemlich brillant, Captain. So brillant, dass ich Euch vielleicht sogar einen der Brillanten schenke, die ich der Königin heute Nacht zu stehlen gedenke.«
Chaol lachte in sich hinein und sie gingen nach draußen, wo der Geländelauf auf sie wartete.
~
Ihre Lunge brannte und ihre Beine waren wie aus Blei, aber sie rannte weiter, hielt ihre Position im Mittelfeld der Champions. Zusammen mit drei Dutzend bewaffneten Wachen folgten Brullo, Chaol und die anderen Trainer ihnen zu Pferd durch den Wildpark. Einige der Champions, darunter Grave, Ned und Bill, liefen an langen Ketten. Celaena konnte wohl von Glück sagen, dass Chaol sie nicht auch gefesselt hatte. Zu ihrer Überraschung führte Cain den Pulk an und war den anderen fast zehn Meter voraus. Wie konnte er nur so schnell sein?
Das Rascheln von Blättern und keuchender Atem füllten die warme Herbstluft und Celaena blickte auf das feucht glänzendeschwarze Haar des Diebs vor ihr. Ein Schritt nach dem anderen, einatmen, ausatmen. Atmen – sie durfte nicht vergessen zu atmen.
Vorne bog Cain um eine Ecke und lief Richtung Norden, zurück zum Schloss. Wie ein Schwarm Vögel folgten sie ihm. Ein Schritt nach dem anderen, nicht langsamer werden. Alle sollen Cain sehen, alle sollen sich gegen ihn verschwören. Sie musste das Rennen nicht gewinnen, um zu beweisen, dass sie besser war – sie war besser, auch ohne die Anerkennung des Königs! Celaena vergaß einen Atemzug und ihre Knie wurden weich, aber sie hielt sich aufrecht. Bald war der Lauf vorbei. Bald.
Sie hatte nicht einmal gewagt sich umzudrehen, um zu sehen, ob jemand gestürzt war. Aber sie spürte Chaols Blick, der sie mahnte, im Mittelfeld zu bleiben. So viel Vertrauen hatte er immerhin zu ihr.
Die Bäume wurden lichter und gaben den Blick auf das Gelände zwischen Wildpark und Ställen frei. Das Ende der Strecke. Celaenas Kopf wirbelte herum, und als ihr dabei ein Stechen in die Seite fuhr, hätte sie fast geflucht, wenn sie dafür noch genügend Luft gehabt hätte. Sie musste im Mittelfeld bleiben. Im Mittelfeld bleiben.
Cain zog an den Bäumen vorbei und riss die Arme in Siegerpose über den Kopf. Um abzukühlen, lief er noch ein paar Meter langsam weiter und sein Trainer jubelte ihm zu. Celaena bewegte einfach weiter die Füße. Es fehlten nur noch wenige Meter. Je näher sie dem offenen Gelände kam, desto heller wurde es. Sie sah Sternchen, konnte kaum noch etwas erkennen. Im Mittelfeld bleiben. Jahrelanges Training mit Arobynn Hamel hatte ihr gezeigt, wie gefährlich es war, zu schnell aufzugeben.
Dann ließ sie die letzten Bäume hinter sich und plötzlich war da nur noch Weite und Gras und blauer Himmel. Die Männer vor ihr wurden
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