Thunderhead - Schlucht des Verderbens
Vielleicht waren es ja Menschen, die ihn beobachteten. Aber wer? Nora, Smithback und Aragon waren tot, und die anderen befanden sich oben in der Stadt. Und weshalb sollten sie auch...
Urplötzlich wurde Swire klar, wer es sein musste, der ihn belauerte. Hätten ihn die Geschehnisse dieses Tages nicht so aufgewühlt, wäre es ihm viel früher eingefallen. Es mussten die Bastarde sein, die seinen Pferden die Gedärme aus dem Leib gerissen hatten.
Und jetzt waren sie gekommen, um auch ihn zu töten.
Die in ihm aufsteigende Wut trübte einen Moment lang sein Urteilsvermögen, aber dann machte er sich klar, dass er weder seine Pferde noch Nora, Smithback und Aragon wieder lebendig machen konnte. Aber er vermochte etwas gegen das zu unternehmen, was jetzt hier vor sich ging.
Weil es nicht gut war, ungeschützt am Ufer zu bleiben, schlenderte er mit lässigen Schritten hinaus ins Tal und suchte unauffällig nach einer Stelle, wo er sich besser verteidigen konnte. Oberflächlich betrachtet, sah der Canon so aus, als wäre alles beim Alten. Trotzdem konnte Swire hier die Gegenwart von jemand anderem noch intensiver spüren als zuvor.
Seine Augen wanderten zu einem kleinen Eichenhain am Ende des Tales. Noch vor zwölf Stunden waren die Bäume fünfzehn Meter vom Wasser entfernt gewesen, jetzt standen sie direkt am Ufer.
Swire nickte langsam. In dem Wäldchen hätte er das Wasser schützend in seinem Rücken, und unter den Bäumen bliebe er vor Blicken von oben verborgen, während er selbst einen Großteil des Tales einsehen und gezielte Schüsse auf etwaige Angreifer abfeuern konnte.
Langsam spazierte er am Wasser entlang und glaubte spüren zu können, wie Blicke aus verborgenen Augen sich in seinen Rücken bohrten. Als er den halben Weg zu dem Wäldchen zurückgelegt hatte, blieb er stehen, spuckte seinen Tabak aus und zog sich die Hose hoch, wobei er unauffällig den Revolver in seinem Halfter lockerte. Es war nur eine 22er Magnum mit langem Lauf, aber er hatte den Vorteil, dass auch rasch hintereinander abgefeuerte Schüsse recht präzise trafen. Für das, was Swire vorhatte, war die Waffe gut.
Swire blieb einen Augenblick im sich langsam verdichtenden Dämmerdunkel stehen. Dies war seine letzte Chance, sich vor Erreichen des Wäldchens noch einmal ausgiebig im Canon umzusehen. Und er wollte zumindest erahnen, von wo aus man ihn beobachtete. Bei Tageslicht gab es nur wenige Stellen, an denen man sich in dem Canon verstecken konnte, doch wenn es dunkel wurde, sah die Sache schon ganz anders aus.
Als er nirgendwo etwas entdecken konnte, spürte Swire, wie sein Instinkt ihm sagte: Hau ab! Bring dich in Sicherheit! Ein paar schwere Regentropfen fielen in den Sand neben ihm. Swires Herz begann rascher zu schlagen. Er war nicht der Mann, der sich vor einer Auseinandersetzung drückte, aber es war schwer, mit jemandem zu kämpfen, von dem man nicht wusste, wer er war und wo er sich befand. Und schließlich bestand ja immer noch die Möglichkeit, dass er sich das alles nur einbildete. Swire rief sich noch einmal ins Gedächtnis, dass er es mit den Mistkerlen zu tun hatte, die seine Tiere auf dem Gewissen hatten. Er dachte an seine Pferde, wie sie mit aufgeschlitztem Bauch und bläulich schimmernden, zu Spiralen angeordneten Gedärmen vor ihm gelegen waren, rituelle Federbüschel in den toten Augen... Was müssen das für Monstren sein, die zu so etwas fähig sind, dachte er.
Swire setzte sich wieder in Bewegung und ging raschen Schrittes auf das Wäldchen zu. Einmal hätte er sich fast umgewandt, aber er hielt sich im letzten Augenblick doch noch zurück. Er durfte nicht zeigen, dass er sich beobachtet fühlte.
Kaum hatte er den Eichenhain erreicht, begab er sich rasch an dessen gegenüberliegendes Ende und drehte sich so, dass er den Fluss im Rücken wusste. Unter den herabhängenden Zweigen war es dunkel, und Wassertropfen fielen ihm auf Kopf und Rücken. Das Rauschen der Fluten war hier lauter als außerhalb des Hains. Es schien von allen Seiten auf Swire einzustürmen und brachte ihn aus dem Konzept. Er schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können, und trat einen Schritt zurück. Er befand sich jetzt direkt am Rand des Wassers, das zwischen den Stämmen der Bäume laut dahingurgelte. Swire machte noch einen kleinen Schritt zurück, so dass er mit den Absätzen seiner Stiefel bereits im Fluss stand.
Mit einem Anflug von stumpfer, hohler Furcht wurde ihm klar, dass es ein Fehler gewesen war, sich in dieses
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