Thunderhead - Schlucht des Verderbens
er sie verstanden hatte.
Nora brachte sich in eine stabile Lage und blickte zum Ufer. Es war nicht weiter als fünfzehn Meter von ihnen entfernt, aber in Anbetracht der Tatsache, dass sie nicht gegen die Strömung anschwimmen konnten, hätten es auch fünfzehn Kilometer sein können.
Nora schaute flussabwärts und sah einen Baumwipfel aus dem Wasser herausragen. Die Strömung, die an ihm zerrte, versetzte ihn in ein rhythmisches Zittern. Ein Stück dahinter entdeckte Nora einen weiteren Baum. Gesetzt den Fall, die Wurzeln dieser Bäume waren vom Wasser noch nicht zu sehr gelockert, konnten sie sich vielleicht von einem zum anderen treiben lassen und so das seichtere Wasser in der Nähe des Ufers erreichen.
»Wollen wir auf ihn losschwimmen?«, fragte Nora und deutete auf den ersten der Bäume.
»Hören Sie auf, mir solche Fragen zu stellen. Ich war schon immer wasserscheu.«
Nora stieß sich in die Strömung, machte ein paar Schwimmbewegungen und packte den Baum, so fest sie konnte. Als sie einen guten Griff hatte, zog sie Smithback ebenfalls heran. Auch den nächsten Wipfel erreichte sie auf diese Weise. Erst als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, bemerkte sie, dass Smithback kaum mehr den Kopf über Wasser halten konnte. Langsam krabbelte sie ans Ufer, das sehr nahe an das Pappelwäldchen herangerückt war, und half dann Smithback aus dem Fluss. Erschöpft ließen sich die beiden auf den Boden fallen, der mit angeschwemmtem Holz übersät war. Smithback atmete unregelmäßig und stöhnte, als ob er starke Schmerzen habe. Nora band den improvisierten Strick von ihren Handgelenken los, hustete das Wasser aus ihrer Lunge und legte sich keuchend auf den Rücken.
Auf einmal sah sie einen Blitz zucken, dem Sekundenbruchteile später ein scharfer Donnerschlag folgte. Ein Gewitter stand offenbar direkt über dem Canon. Wieder musste Nora an den Wetterbericht denken, den Sloane ihr übermittelt hatte. Es war schönes Wetter vorhergesagt worden. Wie hatten sich die Meteorologen nur so gründlich irren können?
Der Regen wurde stärker. Nora setzte sich auf und blickte in die Richtung, wo sie vorhin den Lagerplatz gesehen hatte. Zunächst konnte sie nicht sagen, was sie daran so seltsam fand, aber dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Die Zelte, die sie am Morgen für den Abmarsch abgebaut hatten, waren wieder aufgestellt worden und die Ausrüstungsgegenstände hatte man sorgfältig mit wasserdichten Planen vor dem Regen geschützt.
Ist ja eigentlich irgendwie logisch, dachte sie. Jetzt, da der Slot- Canon voller Wasser war, konnte man das Tal längere Zeit nicht verlassen.
Und dennoch war niemand im Lager zu sehen.
Hatten die anderen etwa Zuflucht in der Stadt gesucht? Aber warum waren sie jetzt, da die eigentliche Sturzflut vorbei war, nicht wieder ins Lager zurückgekehrt?
Nora blickte hinüber zu Smithback, der auf dem Bauch lag. Von seinem Rücken rann mit Blut vermischtes Wasser in den Sand. Er war verletzt, aber wenigstens war er noch am Leben. Aragon hatte weniger Glück gehabt. Nora musste Smithback so rasch wie möglich in ein Zelt bringen, damit er sich trocknen und aufwärmen konnte. »Können Sie gehen?«, fragte sie ihn.
Smithback schluckte schwer und nickte. Nora half ihm beim Aufstehen. Während er sich erschöpft an ihr festhielt, machte er ein paar schwankende Schritte.
»Nur noch ein kurzes Stück«, murmelte sie.
Halb führte, halb schleppte Nora den Journalisten in das verwaiste Lager. Dort legte sie ihn ins Sanitätszelt. Aus dem Verbandskasten nahm sie Schmerztabletten, eine antibiotische Salbe und ein paar Mullbinden. Dann hielt sie kurz inne und streckte den Kopf aus dem Zelt, um sich noch einmal umzusehen. Abermals war sie erstaunt, dass niemand im Lager war. Ob die Sturzflut die anderen alle mit sich fortgerissen hatte? Aber das war unmöglich denn schließlich musste ja irgendjemand die Zelte wieder aufgestellt haben. Und zumindest Sloane und Swire mussten nach den ersten Anzeichen gewusst haben, was auf sie zukam. Sie hatten bestimmt dafür gesorgt, dass sich alle in Sicherheit brachten.
Nora öffnete den Mund, um nach den anderen zu rufen, unterließ es dann aber. Irgendein vages Gefühl, das sie nicht recht verstand, bedeutete ihr, besser still zu bleiben.
Nora zog den Kopf ins Zelt zurück und wandte sich Smithback zu. »Wie geht es Ihnen?«, fragte sie leise.
»Großartig!«, presste der Journalist hervor.
Als Nora Smithbacks Haare sah, die ihm
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