Thunderhead - Schlucht des Verderbens
stürzte. Im Mondlicht blitzten fast gleichzeitig das Metall der Pistole und die Klinge eines Steinmessers auf, und schon wälzten sich Sloane und die Kreatur im Staub. Nora ließ sich auf die Knie fallen und krabbelte auf allen vieren vom Dachrand weg. Im gnadenlosen Licht des Mondes sah sie, wie die Gestalt ihr schreckliches schwarzes Messer wieder und immer wieder in Sloanes Brust und Kehle stieß. Sloane schrie mit schrill kreischender Stimme und schlug wild um sich. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung gelang es ihr, sich halb aufzurichten und die Waffe auf die Kreatur zu richten und abzudrücken. Die Kugel traf die Klinge des Messers, die in tausend Obsidian-Splitter zersprang. Mit einem wütenden Aufschrei warf sich die dunkle Gestalt mit ihrem vollen Gewicht auf Sloane, wodurch beide den Halt verloren und inmitten einer dichten Staubwolke über den Rand des Turmes rutschten.
Entsetzt beobachtete Nora, wie die beiden ineinander verkrallten Körper auf der Begrenzungsmauer aufschlugen und von dort aus weiter ins Tal stürzten. Bevor sich der Mond wieder hinter einer dunklen Wolke verbarg, fiel sein Licht einen Moment auf Sloanes Pistole, die um die eigene Achse wirbelnd in der Dunkelheit verschwand.
Zitternd vor Aufregung legte sich Nora auf den Rücken und schnappte nach Luft.
Sloanes Schüsse hatten den Skinwalker also nicht getötet. Er war leise den Turm heraufgestiegen und hatte in dem kleinen Raum unter dem Dach auf seine Chance gewartet. Jetzt waren sie beide tot, der Skinwalker und Sloane, und das Grauen hatte ein Ende.
Dankbar stand Nora auf und ging zu dem Loch im Dach, als sie eine plötzliche Erkenntnis traf wie ein Keulenschlag: Es waren zwei in Pelze gehüllte Gestalten gewesen, die sie vor knapp drei Wochen in dem verlassenen Ranchhaus angegriffen hatten. Und das konnte nur eines bedeuten:
Irgendwo im. nächtlichen Tal von Quivira musste noch ein weiterer Skinwalker herumschleichen.
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I n kurzen, heftigen Stößen nach Atem ringend, trat Nora langsam i auf das Loch in der Mitte des Turmdaches zu und ließ sich, so leise sie konnte, in den kleinen Raum darunter hinab. Dort krabbelte sie auf Händen und Knien zu der schrägen Pfahlleiter und spähte hinab ins Dunkel des Turmes. Es war so stockfinster, dass sie die Leere des Raumes unter sich mehr spüren als sehen konnte. Dabei hörte sie nichts als das Rauschen des Flusses draußen im Tal, dieses verrückt machende, nicht enden wollende Gegurgel, das jedes andere Geräusch übertönte.
Eine Weile war Nora vor Angst wie gelähmt. Am ganzen Körper zitternd, kauerte sie vor der Leiter und konnte sich nicht überwinden, auf den wackeligen alten Pfählen in die Finsternis nach unten zu steigen. Aber im Turm bleiben und so lange warten, bis die andere Kreatur sie fand, konnte sie auch nicht. Jetzt, da sie keine Waffe mehr hatte, saß sie hier in einer Falle, aus der sie sich schnellstens befreien musste.
Nora kämpfte darum, ihren Atem unter Kontrolle zu bekommen und ihr Gehirn daran zu hindern, vor lauter Panik vollkommen abzuschalten. Schließlich streckte sie einen Fuß hinab in das Loch und tastete nach den Kerben der schräg stehenden obersten Leiter. Erst nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der morsche Pfahl ihr Gewicht auch tragen konnte, ließ sie den Rand des Loches los. Dann begann sie langsam mit dem Hinunterklettern, wobei sie sich mit beiden Händen fest an den Pfahl klammerte und sich mit den Füßen von einer Kerbe zur nächsten arbeitete - sie spürte, wie kühle Luft ihr von unten um die Beine wehte, und hörte das alte Gemäuer knistern und knacken. Ein paar kleinere Steine polterten an ihr vorbei in die Tiefe.
Als sie endlich den festen Boden des zweiten Simses erreicht hatte, blieb Nora eine Weile stehen, um sich auszuruhen. Sie wusste, dass sie auch hier nicht bleiben konnte. Hier oben, zwischen Dach und Boden, war sie besonders verwundbar. Sobald sie wieder einigermaßen bei Kräften war, machte sie sich an den weiteren Abstieg, der ihr etwas leichter fiel, weil ihr diesmal neben den Kerben im Leiterpfahl auch noch die Vertiefungen in der Turmwand zur Verfügung standen. Als sie gerade auf den nächsten Sims klettern wollte, erstarrte sie. Sie glaubte von unten das leise Tappen sich nähernder Schritte vernommen zu haben. Mit gespreizten Armen und Beinen zwischen Wand und Leiter gekeilt, lauschte sie hinab in die Dunkelheit. Als sie ein paar Minuten lang nichts hörte, ließ sie sich erleichtert auf den
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