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Thunderhead - Schlucht des Verderbens

Thunderhead - Schlucht des Verderbens

Titel: Thunderhead - Schlucht des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Douglas & Child Preston
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meine Straße nach Quivira?«, fragte Nora mit zitternder Stimme.
    »Nein«, gab Holroyd zurück, »das ist unsere Straße nach Quivira.«

 
8
    N ora lenkte ihren Pick-up durch den Frühabendverkehr und konzentrierte sich darauf, dass ihr der Highway nicht vor den Augen verschwamm. Seit ihrer Studienzeit, in der sie in nächtelangen Marathonsitzungen für ihr Examen gebüffelt hatte, war sie nicht mehr so müde gewesen. Zwar hatte ihr Holroyd am Abend zuvor angeboten, dass sie in seiner Wohnung übernachten könne, aber sie war spät nachts noch nach Santa Fe zurückgefahren. Vormittags um zehn war sie schließlich im Institut angekommen und hatte sich durch einen langen Arbeitstag gequält, zu allem Überfluss musste sie auch noch die Schlussbeurteilungen für ihre Studenten schreiben. Immer wieder waren ihre Gedanken dabei zu ihrer geplanten Expedition in die verborgene Stadt Quivira abgeschweift. Dabei war ihr klar geworden, dass sie sich trotz ihrer Entdeckung der Anasazi-Straße nicht noch einmal an Blakewood wenden konnte. Die Chancen, ihn doch noch umzustimmen, standen nach wie vor äußerst schlecht. Als sie ihm nach der Mittagspause auf dem Gang begegnet war, hatte er sie nur flüchtig und unterkühlt gegrüßt.
    Nora trat auf die Bremse, schaltete hinunter in den zweiten Gang und bog in die Verde Estates ab, wo sich ihre Wohnung befand. Zu ihrer Überraschung hatte Nora am späten Nachmittag einen Anruf von Emest Goddards Sekretärin erhalten und war für den nächsten Vormittag in dessen Büro gebeten worden.
    Bisher hatte Nora noch nie persönlich mit dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats zu tun gehabt und hatte sich nicht denken können, weshalb der mächtigste Mann des Instituts sie sprechen wollte. Hoffentlich ging es nicht darum, dass sie zwei Tage lang unentschuldigt gefehlt hatte und mit ihren Scherben vom Rio Puerco noch keinen Schritt vorangekommen war. Vermutlich hatte Blakewood den Vorsitzenden gebeten, dieser unbotmäßigen jungen Assistenzprofessorin einmal gehörig auf die Finger zu klopfen.
    Auf der Fahrt durch die kurvigen Straßen des Wohnviertels schaltete Nora die Scheinwerfer ein. Obwohl Verde Estates auf dem Reißbrett entstanden war, hatten seine Architekten auf bemühte Anleihen beim Santa-Fe-Kolonialstil verzichtet, die man in vielen ähnlichen Neubaugebieten fand. Weil die Anlage etwas älter war, waren die größeren Obst- und Nadelbäume, die man hier gepflanzt hatte, schon ziemlich hoch gewachsen und nahmen den Gebäuden etwas von ihrer geradlinigen Strenge. Als Nora den Pick-up auf den Parkplatz lenkte, spürte sie, wie sich ein Gefühl warmer Ruhe in ihrem Körper ausbreitete. Sie hatte vor, sich eine halbe Stunde lang auszuruhen, bevor sie sich etwas Leichtes zum Essen machte, duschte und zu Bett ging. Vielleicht würde sie ja auch noch eine Weile an den Rohrblättem für ihre Oboe herumschnitzen, denn das war die Tätigkeit, bei der sie sich am besten entspannten konnte. Viele Oboisten empfanden das Anfertigen der Rohrblätter als eine lästige Pflichtübung, aber Nora hatte schon immer Freude daran gehabt. Sie zog den Zündschlüssel ab, nahm Akten- und Reisetasche und ging quer über den Parkplatz hinüber zu ihrer Wohnungstür. Im Geiste legte sie sich bereits die Dinge zurecht, die sie für das Rohrblattschneiden brauchen würde: eine Juwelierslupe, ein gutes Stück Bambus, Seidenfaden und ein Blatt Fischhaut, um undichte Löcher zu verschließen. Mr. Roehm, ihr Oberlehrer auf der Highschool, hatte das Anfertigen von Doppelrohrblättem immer mit der Herstellung von Fliegen für das Angeln verglichen: eine Kunst und eine Wissenschaft für sich, bei der man zahllose Fehler machen konnte und bei der es ständig etwas zu basteln gab.
    Nachdem Nora aufgesperrt hatte und eingetreten war, lehnte sie sich mit dem Rücken an die Tür und schloss erschöpft die Augen. Sie war so müde, dass sie nicht einmal mehr den Lichtschalter betätigen konnte. So stand sie eine ganze Weile im Dunkeln und hörte das tiefe Brummen des Kühlschranks und das hysterische Bellen eines Hundes in der Nachbarschaft. Merkwürdig. In ihrer Wohnung lag ein Geruch, der ihr bisher noch nie aufgefallen war. Ist schon seltsam, dachte sie, wie seltsam, dachte sie, wie fremd einem nach nur zwei Tagen die eigene Wohnung vorkommt.
    Auf einmal fiel Nora auf, dass sie etwas vermisste: das vertraute Ticktack von Krallen auf dem Linoleum, das kühle Gefühl einer feuchten Hundeschnauze, die sie freundlich an ihren

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