Thunderhead - Schlucht des Verderbens
Pueblo Bonito in ihrem Zentrum. Aber sehen Sie sich einmal das hier an.«
Nora griff in ihre Aktentasche und zog eine weitere Karte hervor, auf der das komplette Colorado-Plateau und das San-Juan-Basin abgebildet waren. In der unteren rechten Ecke war ein Plan der Ausgrabung im Chaco Canon eingeklinkt, der die große Ruine von Pueblo Bonito und die kreisförmig darum angeordneten kleineren Dörfer zeigte. Eine dicke rote Linie, die in Pueblo Bonito ihren Ausgangspunkt hatte, führte an einem halben Dutzend anderer wichtiger Ruinen vorbei pfeilgerade in die obere linke Ecke der Karte, wo sie in einem X endete.
»Dieses Kreuz bezeichnet die Stelle, an der sich nach meinen Berechnungen Quivira befinden müsste«, erklärte Nora besonnen. »Jahrzehntelang hat die Wissenschaft geglaubt, dass Pueblo Bonito das Zentrum das Anasazi-Straßen sei. Aber was wäre eigentlich, wenn das gar nicht stimmte? Pueblo Bonito könnte doch auch nur ein Sammelpunkt für die Pilgerreise nach Quivira sein.«
Goddard schüttelte langsam den Kopf. »Das ist wirklich faszinierend. Wir haben mehr als genug Material, um eine Expedition zu rechtfertigen. Haben Sie sich eigentlich schon überlegte, wie Sie in dieses Gebiet gelangen wollen? Mit Hubschraubern vielleicht?«
»Daran habe ich zuerst auch gedacht, aber dann bin ich zu dem Schluss gekommen, dass das Gelände es nicht zulassen wird. Die Canons sind bis zu dreihundert Meter rief und sehr eng. Außerdem gibt es gefährliche Aufwinde und Felsüberhänge und praktisch keine flachen Stellen, an denen man landen könnte. Ich habe die Karten sorgfältig studiert und im Umkreis von fünfzig Meilen keinen einzigen sicheren Landeplatz für einen Hubschrauber gefunden. Jeeps kommen bei diesem Gelände ohnehin nicht in Frage, so dass wir wohl auf Pferde zurückgreifen müssen. Sie sind billig und können eine Menge Ausrüstung schleppen.«
Goddard brummte zustimmend und starrte weiter auf die Karte. »Das klingt gut. Aber ich kann mir beim besten Willen noch keinen Weg in dieses Labyrinth vorstellen. Die meisten dieser Canons enden im Nirgendwo. Selbst bis zu der Indianersiedlung im Norden, die Sie als Ausgangspunkt für Ihre Expedition nehmen könnten, wäre es ein sehr anstrengender Ritt. Und danach ginge es weiter durch fast hundert Kilometer Wüste ohne Wasser. Aber vom Süden her ist auch kein Herankommen, denn da schneidet Ihnen der Lake Powell den Weg ab.« Erblickte auf. »Außer Sie...«
»Genau. Wir werden die Expedition auf dem Wasserweg befördern. Ich habe bereits Kontakt mit dem Hafen Wahweap in Page aufgenommen und erfahren, dass es dort ein fünfundzwanzig Meter langes Boot gibt, das wir für unsere Zwecke ausleihen können. Wenn wir von Wahweap aus die Pferde über den See bis ans Kopfende des Serpentine Canon brächten, wären es nur noch drei bis vier Tagesritte nach Quivira.«
Ein Lächeln machte sich auf Goddards Gesicht breit. »Das ist ein sehr intelligenter Vorschlag, Nora. Lassen Sie ihn uns in die Tat umsetzen.«
»Eines noch, Dr. Goddard«, sagte Nora, während sie die Karten wieder in ihrer Aktentasche verstaute. »Mein Bruder braucht dringend einen Job. Er würde praktisch alles tun, aber ich weiß, dass er unter geeigneter Anleitung ganz hervorragend mein Material vom Rio Puerco und dem Gailegos Divide katalogisieren könnte.«
»Es ist eine der Grundregeln unseres Instituts, keine Vetternwirtschaft zuzulassen...«, begann Goddard, hielt aber inne, als Nora unwillkürlich grinsen musste. Der alte Mann sah sie an, und Nora hatte den Eindruck, als würde er jeden Moment in einen Wutanfall ausbrechen. Dann aber hellte sich seine Miene wieder auf. »Sie sind wirklich die Tochter Ihres Vaters, Nora«, sagte er. »Sie trauen niemandem, und Sie wissen, wie man verhandeln muss. Haben Sie
sonst noch irgendwelche Wünsche? Wenn ja, dann heraus damit.« »Nein, jetzt bin ich wunschlos glücklich.«
Schweigend streckte Goddard ihr die Hand hin.
10
A ls Nora das laute Klopfen hörte, ließ sie fast das Artefakt fallen, das sie gerade in der Hand hielt, und blickte erschrocken auf. Hinter der Scheibe ihrer Bürotür war das finster dreinblickende Gesicht ihres Bruders zu sehen. Skip fuchtelte mit einer Hand herum und deutete mit einer übertriebenen Geste nach unten in Richtung Türknauf.
»Bist du verrückt? Fast hätte ich einen Herzinfarkt bekommen«, rief Nora, als sie ihn hereinließ und die Tür hinter ihm wieder schloss und verriegelte. Ihre Hände zitterten
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