Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
Unvermittelt rutschte das Folterteil aus Davids Mund und fiel hinab, um wie eine Halskette hängen zu bleiben. Es lebte und wand sich, wollte zurück an seinen angestammten Platz kriechen, um David weitere Schmerzen zu bereiten, doch Hadubeys Gegenmagie hielt es im Zaum.
»Danke«, sagte Nadja zu dem Glücksdrachen. Noch wusste sie nicht, wie sie mit ihm verfahren sollte. Es würde sich eine Lösung ergeben; darum konnte sie sich später kümmern. Nun wollte sie David endlich umarmen, ihn herzen, an sich drücken und ihn spüren lassen, wie sehr sie ihn vermisst hatte.
Nadja presste sich an seine nackte Brust, die über und über von kleinen, blutenden Wunden überzogen war. Er trug lediglich eine Art Lendenschurz; die Linien seines schlanken, blassen Körpers traten deutlich hervor.
Er ist unfassbar schön
, dachte Nadja.
Selbst hier und jetzt, unter diesen Umständen, wirkt er wie ein junger Gott
.
»Was tun sie dir an?«, fragte sie nach dem ersten, langen Kuss. »Wie kann ich dir helfen?«
»Kümmere dich um Talamh. Das ist alles.« Er sah an Nadja vorbei auf den kleinen Drachen. »Und schick
ihn
weg.«
Sie scheuchte Hadubey mit einer herrischen Handbewegung beiseite. Der Glücksdrache gehorchte widerspruchslos. All das Selbstbewusstsein, das er vorgespiegelt hatte, war längst verflogen.
»Mir geht es gut«, sagte David, kaum, dass sich Hadubey außer Hörweite befand. »Viel besser als damals in Venedig oder Tokio.«
»Das soll ich dir glauben?« Nadja zog ein Tuch hervor, befeuchtete es mit Spucke und rieb eingetrocknete Blutfäden vom Oberkörper des Elfen. Sie erkannte viele winzige, leicht entzündete Wunden, die für die Blutungen verantwortlich waren.
»Lyonesse ist nahe der Heimat.« David gelang es nicht, seinen Kopf zu ihr herabzusenken. Seine Stirn war von einem ehernen Ring umfasst, der ihm kaum Bewegungsfreiheit ließ. »Ich kann Crain riechen, schmecken und fühlen; der Baum liegt sozusagen um die Ecke.« Er brachte ein Lächeln zustande. »Alebin glaubt, mir alle Kraft abzuzapfen, aber er irrt sich. Ich und die Ley- Linie …« Mit einem Finger deutete er unbestimmt nach rechts. »… dienen ihm als Kraftreservoir, um die Abschottung von Lyonesse aufrechtzuerhalten. Ich gebe ihm von mir gerade mal so viel, wie notwendig ist. Die Schwäche gaukle ich ihm nur vor.«
»Aber worauf wartest du?« Abermals drängte sich Nadja an ihn. »Wenn es dir so gut geht – warum hast du dich nicht längst befreit?« Sie empfand eine seltsame Form der Erleichterung. David log nicht. Nun, da sie sich nahe waren, strahlte er auf wunderbare Weise auf sie ab. Er vermittelte Willenskraft, und er schenkte ihr Hoffnung.
»Ich warte auf den passenden Moment. Es reicht nicht, dass ich mich befreie und dann planlos durch Lyonesse wüte. Du kennst Alebin; er ist ein fürchterlicher Gegner. Also muss ich so viel Kraft wie möglich ansparen und in mir speichern. Wenn es so weit ist, löse ich die Fesseln und schlage gezielt zu. Aber zuvor muss ich mir sicher sein, dass ihr, Talamh und du, in Sicherheit seid.«
Zärtlich legte sie ihm die Finger auf die Lippen und hieß ihn zu schweigen. »Alebin steht schwer unter Druck. Er besitzt kaum Rückhalt in der hiesigen Bevölkerung, und er wird von zwei Seiten angegriffen. Sowohl Bandorchu als auch Fanmór belagern Lyonesse. Die Angriffe des Getreuen werden heftiger, die Heerscharen seiner Königin größer …«
»Ich weiß.«
»Es wird der Moment kommen, da der Getreue die Bannmauer durchbricht. Erinnerst du dich an das Durcheinander auf Island? Als einen Moment lang niemand wusste, wo er sich befand und auf wessen Seite er sich stellen würde? Ich befürchte, dass ein ähnliches Chaos über uns hereinbrechen wird, sollten Bandorchu und der Getreue auf Alebin treffen und dein Vater Fanmór mit seinen Völkern dazustoßen.«
»Der Getreue wird es nicht ohne Weiteres schaffen, Alebins Magie zu durchbrechen. Dieses Stehauf-Elfchen hat sicher noch ein Ass im Ärmel.«
Nadja rückte ein Stück von David ab und runzelte die Stirn. »Du verschweigst mir etwas. Du hast keine Ahnung, wie du den richtigen Zeitpunkt zum Zuschlagen bestimmen sollst. Stimmt’s?«
»Ich werde es spüren. Vertrau mir. Und ich werde einen Weg finden, mich dir mitzuteilen. Vielleicht gelingt es mir mithilfe des Cairdeas.«
»Das wirkt nur auf sehr kurze Entfernung.« Nadja deutete auf ihr Handgelenk. »Ich habe dich erst in der Schlafebene der Zwerge gespürt …«
»Wir werden sehen. Du solltest
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