Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
hintergehen?«
»Ihr könnt euch auf mich verlassen«, versprach Alebin, ohne sich allzu viel Mühe zu geben, seine verräterischen Absichten zu verbergen.
»Die Schatulle, sie ist ganz nah? Bandorchu achtete stets darauf, sie griffbereit zu wissen?«
Kein Wunder; versprach ihr Inhalt doch eine unbegreifliche Machtfülle. Dennoch hatte die Königin darauf verzichtet, sie mit sich zu nehmen, als sie ins Reich der Menschen entkam.
Weil sie vorausschauend plant
, dachte Alebin.
Womöglich
zu
vorausschauend. Sie vertraut auf nichts und niemanden, und sie behielt sich für den Fall, dass alle Stricke reißen, eine letzte Rückversicherung. Nichts ahnend, dass ich von den Ruhenden Streitkräften des Thanmór wusste
.
»Also sagt schon: Wo hat sie dieses Zauberkästchen versteckt? In Bandorchus Kemenate? Eingemauert im Fundament des Schlosses? In den Kellerverliesen oder einem der Tore?«
»Nein?« Eine einzelne Stimme drängte sich aus dem Kollektiv und gab mit einem dunklen Bariton die Antwort: »Du hast soeben noch darauf gesessen? Die Schatulle ist ein Teil des Throns?«
Alebin lachte so laut, dass er damit die Bestie aus ihrem Dämmerschlaf riss. »Ich hätte es wissen müssen!«, rief er. »Die einfachste Lösung ist immer die beste!«
Er drehte sich um und nahm den Stuhl konzentriert in Augenschein. Achtlos riss er die dünne Polsterung aus den Nähten und warf sie beiseite. Ein massives Gerüst aus bronzenen, eisernen und kupfernen Metallteilen kam zum Vorschein, die miteinander verschmolzen und mit Holzeinlagen aufgefüllt worden waren. Im Schattenland hatte die Kunst der Improvisation eine ganz besondere Blüte erlebt. Dort existierten nur ganz wenige verwendbare Rohmaterialien. Erze und Metalle waren dem Boden unter unvorstellbar elenden Arbeitsbedingungen abgerungen – oder über äußerst verschlungene Irrwege hergeschmuggelt worden.
Alebin betrachtete die Runen- und Schriftzeichen, die jemand, wohl Bandorchu selbst, ins Holz geschnitzt hatte. Manche kamen ihm leidlich bekannt vor, andere verwirrten seine Sinne. Sie schützten und verstärkten die Kraft desjenigen, der von dort aus regierte. Nichts wies darauf hin, dass die Schatulle in den Thron integriert worden war. Hatten ihn die Geistwesen der Schwesternschaft etwa angelogen? Unvorstellbar.
Sorgfältig klopfte er mit einem Knöchel die Sitzfläche ab. Manche Flecken fühlten sich heiß und … gefährlich an, andere vermittelten ein Gefühl unendlicher Trauer. Im Nachhinein schalt er sich einen Narren, da er sich so leichtfertig auf den Stuhl der Königin gesetzt hatte. Wenn er die Heimtücke Bandorchus berücksichtigte, hätte ihn diese Unbedachtsamkeit sein Leben kosten können.
Da! An einer Stelle im ungefähren Zentrum des Sessels existierte ein Hohlraum. Aber er war klein … Sicherlich nicht groß genug, um die Schatulle in sich aufzunehmen.
Was aber, wenn sie die Königin hochkant in den Thron gesteckt hatte?
Seine scharfen Augen machten nun, da er darauf achtete, die feinen Kantenlinien aus, die er gesucht hatte. An der linken Außenseite des Rechtecks befand sich eine Holznut, die wie ein Schnitzfehler wirkte. Alebin steckte vorsichtig einen seiner Fingernägel in die Lücke und versuchte, ihn als Hebel zu verwenden. Gleichzeitig murmelte er eine simple Beschwörung, die ihn gegen Verteidigungszauber immunisieren und den Widerstand des magischen Holzes brechen sollte.
Bandorchu hatte ausnahmsweise schlampig gearbeitet; Millimeter für Millimeter ruckelte ein rechteckiges Holzteilchen nach oben. Bald hielt er die Abdeckung in der Hand. Sie bestand aus dem Sargholz eines lebendig Begrabenen, wie unschwer an Kratzern und vergilbten Hautresten zu erkennen war; ein verzweifelter Eingesperrter hatte aus seinem Gefängnis auszubrechen versucht. Irgendwann hatte ihn die Kraft verlassen; sein von Panik und Verzweiflung regierter Geist war ins Holz eingesickert. Die Frage, wie dieses wertvolle Stück hergelangt war, würde wohl nur die Königin selbst beantworten können. Fakt blieb, dass das Sargholz alles aus dem Gedächtnis von Elf und Mensch strich, was von ihm bedeckt wurde. Kein Wunder, dass Alebin nicht auf die nächstliegende aller Ideen gekommen war und zuerst woanders gesucht hatte!
Er hielt sein Fingerlicht in die schmale Öffnung im Thronsitz. Ja, da war sie, die Schatulle! Passgenau füllte sie den Hohlraum aus. Alebin murmelte einen Sprechzauber, und die unbezahlbare Kostbarkeit hob sich langsam. Sie war über und über mit
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