Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
Pranken um sich. Anfänglich bewegte sie sich schwerfällig und gelangweilt; wie ein Kater, der satt war und nur aus Lust an der Freude weiterjagte. Tapsig schlug sie zu und fuhr die Krallen aus, um die kleinen Leuchtkörper wie mit einem Seziermesser zu zerteilen.
Sie erwischte keinen einzigen.
Die Teilchen erwiesen sich als unangreifbar – während sie selbst in der Lage waren, den Leib der Bestie zu durchdringen und sich in ihr festzusetzen. Sie wehrte sich nun, da sie fühlte, wie
etwas
nach ihr griff, mit Leibeskräften. Das Tier tat wundersame Sprünge, fauchte, brüllte, hetzte davon – doch es nützte nichts. Die Geister hatten ihr Opfer gefunden.
Nach nur wenigen Minuten fand der Spuk ein Ende. Die Fünkchen hatten den Leib der Bestie erobert. Sie keuchte und gab ein klägliches Maunzen von sich. ihre Blicke waren stumpf, und der Schweiß an den Flanken tropfte zu Boden, ohne dass sie sich darum scherte.
Alebin beglückwünschte sich zu seiner Entscheidung, die Bestie vorgeschickt zu haben. Es erschien ihm fraglich, ob er gegen eine derartige Vielzahl von Gegnern bestanden hätte.
»Was ist mit uns«, hörte er ganz andere Stimmen aus einer ganz anderen Richtung. »Du hast versprochen, uns zu befreien?«
Die Mitglieder der Schwesternschaft. Richtig. Er war ihnen etwas schuldig.
»Ich stehe zu meinem Wort«, sagte er laut.
Alebin fühlte Jubel, Erleichterung, Aufbruchsstimmung. Die von Bandorchu gebannten Geister glaubten sich am Ziel ihrer Wünsche: Wenn sie schon nicht in ihre Körper zurückkehren konnten, würden sie immerhin die Freiheit erhalten, durchs Schattenland zu schweifen – um bald wieder jene Schreckensherrschaft zu errichten, die erst mit dem Erscheinen der Königin ein Ende gefunden hatte. Nach wie vor mussten sich Tausende verlorene und verbannte Seelen auf dieser grausigen Welt befinden. Verkalkte und versteinerte Geschöpfe, die sich in Tier- und Pflanzengestalten geflüchtet hatten; andere, armselige Wesen, die umherstreunten, stets auf der Suche nach Schutz vor dem Spiegelboden und der unbarmherzig herableuchtenden Sonne. Sie alle würden nun wieder zu Opfern der Schwesternschaft werden – wenn, ja, wenn Alebin zu seinem Wort stand.
Er packte die Schatulle in einen Sack, den er vorsorglich mit sich genommen hatte. Die Büchse würde er erst benötigen, wenn es darum ging, die Körper der Ruhenden Streitkräfte des Thanmór zu beleben. Bis dahin musste er sie von all seinen Sinnen fernhalten.
»Denk an uns?«, flehten die Mitglieder der Schwesternschaft, als er den Thronsaal verließ und den Weg zum Ausgang suchte. »Denk an uns? Du hast es versprochen?«
Ja, das hatte er.
Die Gänge des Schlosses strahlten mit einem Mal etwas Gieriges, Bedrohliches aus. Sie rückten näher und engten ihn ein. Flüssigkeit trat am Boden zutage. Rot und ölig war sie, wie eine Mischung aus Schweiß und Blut. Die in die Steine verbannten Geister der Schwesternschaft lechzten nach Erlösung.
Alebin war heilfroh, als er den Ausgang erreichte – dennoch wäre er beim Anblick des gnadenlos herabbrennenden Sonnenlichts fast wieder umgekehrt. Das Schattenland zeigte sich abermals von seiner übelsten Seite.
Die Bestie umrundete ihn, unruhig wie selten zuvor. Es zog sie in eine bestimmte Richtung, die in diesem seltsamen, grausamen Land genauso gut Osten wie Süden, Norden oder Westen sein konnte.
Alebin nahm den Weg zur Linken. Binnen Kurzem fand er jene Stelle, die er gesucht hatte: mehrere dunkle Steine, die das Bodenfundament des Außengemäuers bildeten und den Grundstock für das in den Anfangstagen viel kleinere Schloss gebildet hatten. Auch dort trat aus Ritzen ölige Flüssigkeit hervor. Sie sammelte sich in einem winzigen Tümpel, von dem aus ein dünnes Rinnsal in die Spiegelebene abfloss, um dort irgendwo, irgendwie zu versickern.
In diesen Fundamentsteinen waren die Mitglieder der Schwesternschaft verankert. Alebin rief sich einen starken Levitationszauber in Erinnerung. Einer der Felsen bewegte sich langsam hin zu ihm. Seltsame Geräusche der Erleichterung wurden spür- und hörbar. Die Geistwesen fühlten, dass ihre Stunde gekommen war. So sehr sehnten sie die Freiheit herbei …
Alebin hielt die Konzentration aufrecht, bis der Stein zur Gänze aus dem festgefügten Gemäuer herausgeglitten war. Erste Lichtstrahlen bahnten sich ihren Weg ins Innere des Schlosses der Dunklen Königin und würden alsbald ihre vernichtende Wirkung beginnen. Der Staub des Vergessens würde die
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