Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
verschiedene andere Läden. Es war Markttag, und auf den Straßen herrschte Hochbetrieb.
Niemand würdigte mich eines Blickes, als ich zwischen den Ständen umherging, die sich unter der Last von Wild und Wintergemüse bogen. Abgesehen von dem schwachen Tintengeruch, der die Luft erfüllte, wirkte alles täuschend echt. Der erste Gasthof, auf den ich stieß, hieß
The George
. Da er im Buch namentlich Erwähnung fand, hatte ich dort vermutlich die besten Chancen.
Ich trat ein und fragte den Wirt, ob ein Mann von hünenhafter Statur sich vormittags ein Zimmer genommen habe. Er verneinte, gab mir jedoch den Rat, mein Glück in einem der anderen Gasthäuser zu versuchen. Ich dankte ihm und wollte eben wieder gehen, als das gänzlich deplacierte Klicken eines Kameraverschlusses meine Aufmerksamkeit weckte. Langsam drehte ich mich um.
Hinter mir stand ein japanisches Pärchen in zeitgenössischer Tracht; die Frau hielt eine große Nikon-Kamera in der Hand. Eilig versuchte sie den eklatanten Anachronismus zu verbergen und schleifte ihren Mann mit sich zur Tür.
»Warten Sie!«
Sie blieben stehen und wechselten nervöse Blicke.
»Was machen Sie hier?« fragte ich ungläubig.
»Wir sind nur zu Besuch, aus Osaka«, versicherte die Frau eilig, worauf der Mann – er sprach offenbar kein Englisch – heftig nickte und die Nase in einen japanischen Brontë-Führer steckte.
»Wie …?«
»Ich bin Mrs. Nakijima«, sagte die Frau, »und das ist Mr. Suzuki.«
Der Mann grinste mich an und schüttelte mir aufgeregt die Hand.
»Das gibt’s doch nicht!« rief ich wütend. »Wollen Sie damit sagen, Sie sind Touristen?«
»Genau«, gestand Mrs. Nakijima, »ich mache den Sprung jedes Jahr einmal und nehme einen zahlenden Besucher mit. Wir rühren nichts an und sprechen auch nie mit Miss Eyre. Wie Sie sehen, sind wir passend gekleidet.«
»Japaner? Im England des 19. Jahrhunderts?«
»Warum nicht?«
Ja. Warum eigentlich nicht?
»Und wie machen Sie das?«
Die Frau zuckte die Achseln.
»Ich
kann
es einfach«, lautete ihre schlichte Antwort. »Ich konzentriere mich, sage mein Sprüchlein auf und, peng, hier bin ich.«
Dafür hatte ich jetzt keine Zeit.
»Passen Sie auf. Ich heiße Thursday Next. Ich arbeite für Victor Analogy in der LitAg-Außenstelle Swindon. Ich nehme an, Sie haben vom Diebstahl des Manuskripts gehört?«
Sie nickte.
»In diesem Buch treibt eine finstere Gestalt ihr Unwesen, und die muß ich extrahieren. Der Mann ist äußerst gefährlich und schreckt vor nichts zurück. Wenn er sie findet, wird er versuchen, Sie zu benutzen, um hier herauszukommen. Ich empfehle Ihnen dringend, sofort abzureisen. Springen Sie zurück nach Hause, solange es noch geht. Wenn er Sie findet, könnte er Ihnen sehr weh tun!«
Mrs. Nakijima besprach sich mit ihrem Kunden. Schließlich erklärte sie mir, daß Mr. Suzuki wegen Jane gekommen sei und sein Geld zurückhaben wolle, wenn sie ihn nicht in die Nähe von Thornfield Hall führte, damit er einen Blick auf Jane werfen konnte. Also setzte ich ihr meinen Standpunkt noch einmal auseinander, und schließlich sagten sie ja. Ich folgte ihnen nach oben in ihr Zimmer und wartete, während sie packten. Schließlich gaben mir Mrs. Nakijima und Mr. Suzuki die Hand, hielten sich aneinander fest und lösten sich in Luft auf.
Ich schüttelte traurig den Kopf. Es gab offenbar so gut wie keinen Flecken mehr auf dieser Welt, den die Tourismusindustrie noch nicht entdeckt hatte.
Ich trat aus dem warmen Gasthaus in den kalten Vormittag hinaus, ging an einem Stand vorbei, an dem Wurzelgemüse feilgeboten wurde, und weiter ins
Millcote
, wo ich mich nach neuen Gästen erkundigte.
»Und wen darf ich Mr. Hedge melden?« fragte der Wirt und spuckte in einen unförmigen Bierkrug, den er sodann mit einem Lappen polierte.
»Sagen Sie ihm, Miss Next möchte ihn sprechen.«
Der Wirt verschwand nach oben und kam kurz darauf zurück.
»Zimmer sieben«, sagte er knapp und machte sich wieder an die Arbeit.
Acheron saß am Fenster, mit dem Rücken zur Tür. Er rührte sich nicht, als ich hereinkam. »Hallo, Thursday.«
»Mr. Hedge?«
»Die Engländer des 19. Jahrhunderts sind ziemlich abergläubisch. Ich dachte, der Name Hades könnte sie auf falsche Gedanken bringen.«
Er drehte sich zu mir um; seine stahlblauen Augen schienen direkt in mich hineinzublicken. Aber seine Macht über mich hatte nachgelassen; er konnte nicht in mir lesen wie in anderen. Er spürte das sofort, verzog die Lippen zu
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