Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
an«, sagte Schitt kühl, »ich bin nur als Beobachter im Auftrag von Goliath hier.«
Hicks erhob sich und lief nervös auf und ab. Bowden, Victor und ich sahen ihm schweigend dabei zu. Hicks tat uns leid; er war kein übler Kerl, nur ein Schwächling. Die
Chuzzlewit
-Entführung war eine mißliche Angelegenheit, und wenn Hicks nicht schleunigst etwas unternahm, konnte ihn das seinen Job kosten.
»Hat jemand eine Idee?«
Wir sahen ihn an. Wir hatten zwar ein paar Ideen, wollten aber auf keinen Fall in Schitts Gegenwart darüber sprechen. Seit wir wußten, daß er uns an jenem Abend in Archers Werkstatt ohne weiteres hätte abknallen lassen, war Goliath für uns erledigt.
»Ist Mrs. Delamare gefunden worden?«
»Ja, und es geht ihr gut«, antwortete ich. »Sie hat sich übrigens sehr darüber gefreut, daß wir eine Autobahnraststätte nach ihr benannt haben. Sie hat ihren Sohn seit fünf Jahren nicht gesehen, wird aber überwacht, nur für den Fall, daß er sich bei ihr meldet.«
»Gut«, murmelte Braxton. »Was noch?«
Victor ergriff das Wort.
»Unseres Wissens hat Hades Felix 7 schon ersetzt. Ein junger Mann aus Reading namens Danny Chance wird vermißt; sein Gesicht wurde in einem Papierkorb im dritten Stock seines Wohnhauses gefunden. Wir haben die Fotos der Leiche von Felix 7 an alle Einsatzkräfte weitergeleitet; sie müßten eigentlich auch auf den neuen Felix passen.«
»Sind Sie sicher, daß Archer nichts weiter gesagt hat als ›Felix 7 ‹, bevor Sie ihn erschossen haben?«
»Hundertprozentig«, log Bowden, ohne rot zu werden.
Mißmutig kehrten wir in unser Büro zurück. Wenn Hicks tatsächlich seinen Hut nehmen mußte, konnte das zu gefährlichen Verwerfungen innerhalb der Abteilung führen, außerdem durfte ich Mycroft und Polly nicht vergessen. Victor hängte seine Jacke auf und fragte Finisterre, ob sich etwas verändert habe. Finisterre blickte von einer abgegriffenen
Chuzzlewit
-Ausgabe auf. Seit Acherons Flucht lasen Bailey, Herr Beicht und er den Roman im Vierundzwanzig-Stunden-Schichtdienst. Bislang hatte sich verblüffenderweise gar nichts verändert. Die Forty-Brüder verfolgten die einzige Information, die wir SO-5 und Goliath voraushatten. Kurz vor seinem Ableben hatte Sturmey Archer einen gewissen Dr. Müller erwähnt, und danach wurden die Datenbanken von Polizei und SpecOps jetzt durchkämmt – unter größter Geheimhaltung und Diskretion allerdings, was die Suche so zeitraubend machte.
»Gibt’s was Neues, Jeff?« fragte Victor und krempelte sich die Hemdsärmel auf.
Jeff hustete. »In England sind keine Dr. Müllers registriert, weder med. noch phil. …«
»Dann ist es also ein falscher Name.«
»… die noch am
Leben
wären.« Jeff lächelte. »Aber 1972 saß ein gewisser Dr. Müller im Gefängnis in Parkhurst.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Zur selben Zeit, als Delamare wegen Betrugs in den Knast ging.«
»Das wird ja immer besser.«
»Und Delamare teilte sich die Zelle mit einem gewissen Felix Tabularasa.«
»Da bekommt die Sache doch gleich ein ganz anderes Gesicht«, murmelte Bowden.
»Wohl wahr. Gegen Dr. Müller wurde bereits wegen des Handels mit Spendernieren ermittelt. Er beging ’74 kurz vor der Verhandlung Selbstmord. Er schwamm aufs Meer hinaus, nicht ohne vorher einen Abschiedsbrief zu hinterlassen. Seine Leiche wurde nie gefunden.«
Victor rieb sich triumphierend die Hände.
»Klingt nach vorgetäuschtem Exitus. Nur wie, bitte schön, sollen wir einen Toten jagen?«
Jeff hielt ein Fax in die Höhe. »Ich mußte bei der Ärztekammer klafterweise Süßholz raspeln; die geben normalerweise keine Personalakten heraus, egal ob der Betreffende lebendig ist oder tot, aber hier ist sie.«
Victor riß ihm das Fax aus der Hand und las die entscheidenden Absätze laut vor.
»Theodore Müller. Studierte zunächst Physik, bevor er auf Medizin umsattelte. ’74 wurde ihm wegen grob standeswidrigen Verhaltens die Approbation entzogen. Er spielte in Cambridge den Hamlet, und das nicht einmal schlecht, war ein hervorragender Tenor, Angehöriger des Ehrwürdigen Wombat-Ordens, begeisterter Eisenbahn-Späher und Gründungsmitglied der Erdkreuzer.«
»Hmm«, machte ich. »Wahrscheinlich frönt er seinen alten Hobbys heute noch und benutzt bloß einen falschen Namen.«
»Was schlagen Sie vor?« fragte Victor. »Sollen wir auf die nächste Lokomotivenschau warten? Wenn mich nicht alles täuscht, verteidigt die
Mallard
nächsten Monat ihren
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