Thursday Next 02 - In einem anderen Buch
Reifen verschwand er die Straße hinunter.
Ich schmuggelte Pickwick vorsichtig in meine Wohnung zurück und las die Zeitung. Ich war froh, dass die Entdeckung des
Cardenio
noch keine Schlagzeilen machte, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich starrte aus dem Fenster und überlegte, wie ich Landen zurückkriegen könnte. Wie sollte ich in Poes
Gesammelte Gedichte
hineinkommen? Wie sollte ich in
irgendwelche
Bücher hineinkommen? Ich wusste nicht mal, wo ich anfangen sollte. Das heißt, bei genauerem Nachdenken war das nicht ganz richtig. Es war höchste Zeit, eine Institution zu besuchen, die dem Delphischen Orakel so nahe kam wie nur irgendetwas, was ich je kennen lernen würde: Oma Next.
Sie spielte gerade Tischtennis, als ich im SpecOps-Altenheim
Abendrot
eintraf. Sie war dabei, ihre mindestens zwanzig Jahre jüngere, aber trotzdem fast achtzigjährige Gegnerin von der Platte zu putzen. Einige nervöse Altenpfleger sahen ihr zu und versuchten sie händeringend zu stoppen, ehe sie sich ein Bein brach. Denn Oma war richtig alt. Ihre rosa Haut sah so zerknittert aus wie eine getrocknete Pflaume, und ihr Gesicht und ihre Hände waren von Altersflecken bedeckt. Sie trug wie üblich ein blaukariertes Kleid und begrüßte mich von der anderen Seite des Raumes, als ich hereinkam.
»Ah!« sagte sie. »Thursday! Machst du ein Spielchen mit mir?«
»Meinst du nicht, dass du für heute genug gespielt hast?«
»Unsinn! Schnapp dir einen Schläger und dann spielen wir um den Aufschlag!«
Ich nahm einen Schläger, und im selben Moment fegte der Ball auch schon an mir vorbei.
»Ich war noch nicht so weit!« protestierte ich, und da sauste schon der nächste Ball übers Netz. Ich schlug danach, erwischte ihn aber nicht.
»Ob man so weit ist, weiß man immer erst nachher«, sagte sie. »Ich dachte, das wüsstest du besser als jeder andere, Thursday.«
Ich knurrte und parierte den nächsten Ball. »Wie geht's, Omi?«
»Ach«, sagte sie, hüpfte leichtfüßig an die Platte und gab mir einen Schmetterball zurück, »ich fühl mich so alt. Alt und müde. Der Sensenmann steht direkt neben mir, ich kann schon sein Eau de Cologne riechen.«
»Aber Omi!«
Meine nächste Rückgabe verpasste sie und erklärte sofort: »Der war aus!« Dann machte sie eine Pause. »Willst du ein Geheimnis wissen?« fragte sie und stützte sich leicht auf die Platte.
»Ja, gern«, sagte ich und benutzte die Unterbrechung, um die Bälle einzusammeln, die wild in der Gegend verstreut lagen..
»Ich bin zum ewigen Leben verdammt!«
»Vielleicht kommt dir das nur so vor, Omi!«
»Du unverschämtes Küken!« erwiderte sie, als sie mir meinen Aufschlag zurückgab. »Mit guten genetischen Vorgaben oder statistischen Besonderheiten allein habe ich es nicht auf hundertacht Jahre gebracht. Dein Punkt.«
Ich schlug erneut auf, und diesmal verpasste ich ihre Rückgabe. Wieder machte sie eine Pause.
»Ich bin in meiner Jugend in einige Merkwürdigkeiten verwickelt gewesen«, erklärte sie. »Und das Ergebnis ist jetzt, dass ich diese sterbliche Hülle nicht ablegen kann, ehe ich nicht die zehn langweiligsten Klassiker gelesen habe.«
Ich blickte ihr in die hellen Augen. Das war kein Witz gewesen.
»Wie weit bist du denn schon?« fragte ich und schlug den nächsten Ball ins Aus.
»Ja, genau ist ja das Problem«, sagte sie und schlug erneut auf. »Ich lese etwas und denke, das ist das langweiligste Buch auf der Welt. Ich beende die letzte Seite und gehe mit einem zufriedenen Lächeln ins Bett - und am nächsten Morgen geht es mir besser denn je zuvor!«
»Hast du schon Edmund Spensers
Faerie Queene
versucht?« fragte ich. »Sechs Bände voller langweiliger Spenser-Stanzen! Das einzig Gute, was man darüber sagen kann: Es ist Fragment geblieben, er hat nur sechs von zwölf Bänden geschafft.«
»Hab alle sechs Bände gelesen, und zur Sicherheit auch noch sein restliches Werk. Hat überhaupt nichts genutzt.«
Ich legte den Schläger hin, während ihre Bälle nur so an mir vorbeizischten. »Du hast gewonnen, Omi. Ich muss mit dir reden.«
Widerstrebend gab sie das Spiel auf und ich half ihr hinauf in ihr Zimmer, eine schmale, altmodisch dekorierte Zelle, die sie als ihre »Abflughalle« bezeichnete. Es gab nur wenige Möbel, ein Foto von mir, Anton, Joffy und meiner Mutter, sowie etliche leere Rahmen.
Sobald sie sich aufs Bett gesetzt hatte, sagte ich: »Sie haben ... meinen Mann genichtet, Omi. Du musst mir helfen!«
»Wann haben sie ihn denn
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