Thursday Next 02 - In einem anderen Buch
geholt?« fragte sie und musterte mich über ihre Brille hinweg, wie das Großmütter im Allgemeinen so machen. Sie zweifelte keine Sekunde an meinen Worten, und ich erklärte ihr das Vorgefallene so knapp und präzise wie möglich. Nur das mit dem Baby erwähnte ich nicht.
»Hmm«, sagte sie nachdenklich, als ich geendet hatte. »Ich weiß, was das für dich bedeutet. Mir haben sie auch meinen Mann weggenommen.«
»Warum denn das?«
»Aus demselben Grund wie bei dir, Schätzchen. Liebe ist etwas Wunderbares, aber sie macht dich ungeheuer erpressbar. Wenn man der Tyrannei einmal nachgibt, leiden andere genauso wie du, vielleicht sogar noch schlimmer.«
»Willst du damit sagen, ich soll Landen nicht zurückzuholen versuchen?«
»Nein, ganz im Gegenteil. Du sollst nur genau darüber nachdenken, ob du den Erpressern helfen willst. Denen bist du genauso egal wie Landen. Die interessieren sich bloß für diesen Jack Schitt. Ist Anton immer noch tot?«
»Ich fürchte, ja.«
»Was für eine Schande. Ich hatte so gehofft, deinen Bruder noch mal zu sehen, ehe ich mich verabschiede. Weißt du, was das Schlimmste am Sterben ist?«
»Sag's mir, Omi!«
»Man erfährt nie, wie das alles ausgeht!«
»Hast du deinen Mann zurückgekriegt, Omi?«
Statt mir zu antworten, legte sie mir plötzlich die Hand auf den Bauch und lächelte dieses kleine, allwissende Lächeln, das Großmütter wohl in der Oma-Schule beigebracht kriegen, wo sie auch Häkeln, Winterschlussverkaufstaktik und den unnachahmlichen Trick lernen, immer ganz genau zu wissen, was man gerade im oberen Stock macht. »Im Juni, stimmt's?« sagte sie. Mit Großmutter Next zu streiten oder ihr etwas vorzumachen, ist sinnlos. Und es hat auch keinen Zweck zu fragen, woher sie solche Dinge weiß.
»Juli«, sagte ich. »Aber hör mal: Ich weiß nicht, ob es von Landen oder diesem Miles Hawke ist, oder von sonst irgendjemand.«
»Dann ruf diesen Hawke an und frag ihn ganz einfach!«
»Das kann ich nicht machen!«
»Tja, dann musst du dich eben weiter beunruhigen«, erwiderte sie. »Aber ich sag dir: Ich setze auf Landen. Wenn deine Erinnerungen die Nichtung überstanden haben, warum dann nicht auch das Baby? Glaub mir, es geht bestimmt alles gut aus. Vielleicht nicht so, wie du denkst, aber trotzdem zufriedenstellend, sei unbesorgt.«
Ich wünschte, ich könnte ihren Optimismus teilen. Sie nahm ihre Hand von meinem Bauch und ließ sich aufs Bett sinken. Die Anstrengung beim Ping-Pong führte jetzt doch zu einer gewissen Erschöpfung.
»Ich muss einen Weg finden, auch ohne das Prosa-Portal einen Text zu betreten, Omi.«
Sie öffnete die Augen und sah mich scharf an. »Hmm!« sagte sie. »Ich habe siebenundsiebzig Jahre lang in achtzehn verschiedenen Abteilungen für SpecOps gearbeitet. Ich bin vorwärts und rückwärts und gelegentlich sogar seitwärts gesprungen, wenn nötig. Ich habe Verbrecher gejagt, neben denen Hades wie St. Zvlkx aussieht und habe die Welt acht Mal vor der Vernichtung gerettet. Ich habe so verrückte Scheiße gesehen, dass du nicht das Geringste begreifen würdest, wenn ich sie dir zu beschreiben versuchte, aber trotz alledem habe ich nicht die geringste Ahnung, wie dich Mycroft in
Jane Eyre
hineingeschleust hat.«
»Ach.«
»Tut mir leid, Thursday - aber so ist es nun mal. Wenn ich du wäre, würde ich das Problem rückwärts angehen. Wer war die letzte dir bekannte Person, die Bücher betreten konnte?«
»Mrs. Nakijima.«
»Und wie hat die es gemacht?«
»Sie hat sich einfach hineingelesen, nehme ich an.«
»Hast du das mal versucht?« Ich schüttelte den Kopf.
»Vielleicht solltest du es probieren«, sagte sie ernsthaft. »Als du das erste Mal in
Jane Eyre
warst, damals als Kind, hast du es doch auch durch einfaches Lesen geschafft, oder?«
»Ich glaube schon.«
»Dann versuch's doch einfach«, sagte sie und griff sich aufs Geratewohl ein Buch vom Regal.
Ich nahm es und sagte: »Ausgerechnet
Die Geschichte von Flopsy-Häschen?«
»Na ja, irgendwo muss man ja anfangen, oder?« sagte Großmutter kichernd. Ich half ihr, die blauen Leinenschuhe auszuziehen und sich auf dem Bett auszustrecken.
»Hundertundacht!« murmelte sie. »Ich fühle mich wie die Häschen in der Anzeige für die Curazell-Batterien, du weißt schon, die mit den No-Name-Batterien.«
»Für mich bist du eine hundertprozentige Curazell, Omi!«
Sie lächelte zufrieden, schloss die Augen und lehnte sich in die Kissen. »Lies mir was vor!«
Ich setzte mich und
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