Thursday Next 02 - In einem anderen Buch
den Erfordernissen des Textes ausdrucksvoll zu betonen. Ich las, wie ich noch nie gelesen hatte.
»Ich stand in einem langen, holzgetäfelten Gang voller Bücherregale, die vom Boden bis fast zur gewölbten Decke hinaufreichten -«
Es krachte, der Türrahmen brach und die Tür fiel nach innen. Dahinter kam Chalk hereingeflogen und stürzte zu Boden, dicht gefolgt von Cheese, der auf dem Bauch landete.
»Der Teppich zeigte ein elegantes geometrisches Muster, und die Decke war mit Stukkaturen geschmückt, die Szenen aus den Klassikern zeigten -«
»Next!« schrie Schitt-Hawse und warf einen vorsichtigen Blick um die Ecke, während Chalk und Cheese wieder auf die Beine zu kommen versuchten. »Das war nicht vereinbart, dieser Trip nach Osaka! Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen mich auf dem Laufenden halten! Es wird Ihnen nichts geschehen -«
Aber es geschah durchaus etwas. Etwas Neues, gänzlich Andersartiges. Mein Hass auf Goliath, der Wunsch zu entkommen, das Bewusstsein, dass ich Landen nie wiedersehen würde, wenn ich den Zugang zu den Büchern nicht fand - all das gab mir die Kraft, die Grenzen zu überwinden, die sich verfestigt hatten, seit ich 1958 ein paar Mal spontan in
Jane Eyre
gewesen war.
»Hoch über mir befanden sich in regelmäßigen Abständen runde Öffnungen, durch die das Licht hereinströmte -«
Ich sah Schitt-Hawse auf mich zukommen, und ich sah auch, dass sich seine Lippen bewegten, aber seine Gestalt wirkte längst nicht mehr so konkret wie zuvor und seine Worte erreichten mich erst eine volle Sekunde nach seinen Lippenbewegungen. Laut las ich weiter, und der Raum um mich herum schien zu versinken.
»Next!« schrie Schitt-Hawse. »Das wird Ihnen leidtun, ich garantiere Ihnen -!«
Aber ich las einfach weiter.
»- was die ernste Atmosphäre der Bibliothek noch verstärkte -«
»Verdammtes Miststück!« hörte ich Schitt-Hawse schreien. »Schnappt sie euch!«
Aber seine Worte waren nur noch ein leichtes Säuseln. Nebel stieg auf, und der Raum wurde dunkel. Ich spürte ein Prickeln auf meiner Haut - und im nächsten Augenblick war ich weg.
Ich blinzelte zweimal, aber Osaka lag weit hinter mir. Ich schloss das Buch, schob es vorsichtig in meine Tasche und sah mich um. Ich stand in einem langen, holzgetäfelten Raum voller Bücherregale, die vom Boden bis fast zur gewölbten Decke hinaufreichten. Der Teppich zeigte ein elegantes geometrisches Muster, und die Decke war mit Stukkaturen geschmückt, die Szenen aus den Klassikern zeigten. Auf den Simsen standen Marmorbüsten berühmter Autoren. Hoch über mir befanden sich in regelmäßigen Abständen runde Öffnungen, durch die das Licht hereinströmte. Es spiegelte sich im dunkel glänzenden Holz der Paneele, was die ernste Atmosphäre der Bibliothek noch verstärkte. In der Mitte des Raumes stand eine Reihe von Lesetischen, und auf jedem der Tische eine Messinglampe mit grünem Schirm. Die Bibliothek erschien endlos, in beiden Richtungen versank der Raum in Dunkelheit ohne erkennbare Grenzen. Aber das war nicht weiter wichtig. Eine Beschreibung einer Bibliothek, das ist, als ob man ein Gemälde von Turner betrachtet und anfängt, über den Rahmen zu reden. An allen Wänden standen Bücher, Reihe an Reihe, Regal an Regal. Hunderte, Tausende, Millionen von Büchern. Gebundene Bücher, Taschenbücher, Lederfolianten, unkorrigierte Leseexemplare, handgeschriebene Manuskripte, ganz einfach alles. Ich trat näher heran und berührte mit den Fingerspitzen die Buchrücken. Sie fühlten sich warm an, und so beugte ich mich vor und legte mein Ohr an die Bücher. Ich hörte ein entferntes Summen, das Dröhnen von Maschinen, das Reden von Menschen und Straßenverkehr, Möwengekreisch, Gelächter und tosende Wellen, den Wind in den Zweigen, entfernten Donner und schweren Regen, einen Schmiedehammer und spielende Kinder - Millionen von Geräuschen, die alle gleichzeitig stattfanden. Die Wolken wichen von meinem Gemüt und in einem Augenblick der Erleuchtung begriff ich die Natur der Bücher. Sie waren nicht nur eine Fülle von säuberlich auf den Seiten versammelten Wörtern, die den Eindruck von Wirklichkeit vermitteln - jeder dieser Bände war tatsächlich Realität. Die Bücher, die ich zu Haus hatte, glichen den hier versammelten Büchern allenfalls so, wie Fotografien den Gegenständen gleichen, die man fotografiert hat. Die Bücher hier waren
lebendig!
Langsam ging ich an den Regalen entlang, ließ meine Finger über die Buchrücken
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