Thursday Next 02 - In einem anderen Buch
ewig dankbar dafür.«
Er zog einen zerknitterten Briefumschlag aus seiner Tasche, drückte ihn mir in die Hand und wollte davonlaufen.
»Halt, warten Sie!« rief ich hinter ihm her. »Wo und wann ist denn die Verhandlung?«
»Ach, hab ich das nicht gesagt? Tut mir leid. Die Anklagebehörde hat den Sitzungssaal aus Kafkas
Prozess
für die Verhandlung gewählt. Ich hätte mir etwas anderes gewünscht, das können Sie mir glauben. Morgen um 9 Uhr 25. Sprechen Sie deutsch?«
»Nein.«
»Dann werde ich beantragen, dass die Verhandlung in einer englischen Übersetzung stattfindet. Kommen Sie bitte an das Ende von Kapitel Zwei; wir sind direkt nach Herrn K. dran. Und denken Sie daran, was ich gesagt habe. Bis dann!«
Und noch ehe ich ihn fragen konnte, wie ich Kafkas Meisterwerk betreten sollte, war er auch schon verschwunden.
Ich nahm den Mantelexpress von Sydney nach Tokio, der eine halbe Stunde später abging und nahezu leer war. Von Tokio nach Osaka nahm ich den Skyrail und traf morgens um eins im Geschäftsviertel ein, vier Stunden nachdem ich aus London abgereist war. Ich nahm ein winziges Hotelzimmer, aber ich konnte nicht schlafen. Ich starrte stundenlang auf die blinkenden Lichter hinaus und dachte an Landen.
15. In Osaka
Dass ich die Fähigkeit des In-die-Bücher-Springens besaß, erfuhr ich zum ersten Mal in der Schule in Osaka, wo mein Vater Englischunterricht gab. Ich war damals noch ein kleines Mädchen, und man hatte mir gesagt, ich sollte aufstehen und eine Seite aus Pu der Bär vorlesen. Ich fing bei Kapitel Neun an - es regnete und regnete und regnete -, musste dann aber recht abrupt aufhören, weil ich spürte, dass ich plötzlich bei den Tieren im Hundertsechzig-Morgen-Wald stand. Ich klappte das Buch zu und kehrte durchnässt und verwirrt in mein Klassenzimmer zurück. Später suchte ich den Wald aus der Sicherheit meines Kinderzimmers erneut auf und erlebte viele herrliche Abenteuer dort. Aber schon im zartesten Alter war ich sehr darauf bedacht, die Geschichte durch mein Auftreten nach außen hin nicht zu verändern. Außer natürlich, dass ich Christopher Robin Lesen und Schreiben beigebracht habe.
O. NAKIJIMA Bücherreisen
Osaka war weniger schick als Tokio, aber genauso geschäftig. Ich frühstückte im Hotel, kaufte mir die neueste Ausgabe der
Far Eastern Toad.
Es war sehr heilsam, die Angelegenheiten zu Hause mal aus fernöstlicher Sicht zu betrachten. Dann überlegte ich, wie ich es anstellen sollte, in dieser Millionenstadt eine einzelne Frau zu finden. Ich kannte ihren Nachnamen und ich wusste, dass sie perfekt englisch sprach, aber sonst fehlte mir jeder konkrete Hinweis. Als Erstes bat ich an der Rezeption um eine Fotokopie der entsprechenden Einträge im Telefonbuch. Zu meinem Entsetzen stellte sich heraus, dass der Name Nakijima recht häufig war. Es gab nicht weniger als 2729 Nakijimas allein in Osaka. Ich rief eine davon an, und eine sehr liebenswürdige Frau Nakijima unterhielt sich über zehn Minuten auf das freundlichste mit mir. Ich dankte ihr ausgiebig und hängte dann ein, ohne auch nur ein Wort, von dem was sie sagte, verstanden zu haben. Ich seufzte, bestellte mir eine Kanne Kaffee aufs Zimmer und begann mit der Arbeit.
351 Nakijimas später kam ich müde und ärgerlich zu dem Ergebnis, dass meine Bemühungen sinnlos waren. Diejenigen Nakijimas, die mich verstanden hatten, gehörten nicht zur bücherspringenden Sorte, und wenn Mrs Nakijima ihren Ruhestand wirklich in
Jane Eyre
verlebte, wie sie angekündigt hatte, konnte ich kaum hoffen, sie in der Nähe eines Telefons anzutreffen.
Ich seufzte und streckte mich auf meiner automatischen Massagebank aus. Dann trank ich den Rest des mittlerweile kalten Kaffees und beschloss, einen kurzen Spaziergang zu machen. Während ich die Straße hinunterschlenderte, hielt ich immer noch die fotokopierten Seiten aus dem Telefonbuch in der Hand und überlegte, wie ich die Suche eingrenzen könnte. Plötzlich fiel mein Blick auf die Jacke eines jungen Mannes, der vor mir herging.
Im Fernen Osten tragen viele T-Shirts und Jacken englische Aufschriften. Manche davon sind verständlich und witzig, andere scheinen nur aus einer zufälligen Aneinanderreihung »modischer« Wörter zu bestehen, die für die japanische Jugend ähnlich attraktiv sein dürften wie die Schrift der Japaner für uns. Ich hatte Aufschriften wie
100% Chevrolet OK Fly-boy
oder
Pratt & Whitney squadron movie
gesehen und hätte dementsprechend auf alles
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