Thursday Next 02 - In einem anderen Buch
829321. Davon haben es 1421 gerade jetzt in der Hand. Eine sehr gute Zahl. Hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass es kürzlich in den Nachrichten war.«
»Und was ist das meistgelesene Buch überhaupt?«
»Bis jetzt? Oder in alle Ewigkeit?«
»In alle Ewigkeit.«
»In der Belletristik ist das meistgelesene Buch
Von Mäusen und Menschen.
Es ist nicht nur unglaublich spannend, sondern ließ sich von allen Wirbeltier-Hyperklassikern auch am besten ins Arthropodische übersetzen. Bei den Wirbellosen ist natürlich
Die Biene Maja
der große Renner. Die Mücken allerdings bevorzugen die Werke von Daphne Farquitt.«
»Aber die sind doch entsetzlich! Die reinsten Nackenbeißer-Romane.«
»Ja, durchaus. Aber die tiefen Ausschnitte und die schwülen Gedanken scheinen starke religiöse Instinkte zu wecken. Bei den Mücken haben sie Kultstatus.«
Ich hatte das Gefühl, dass mir die Dinge entglitten. »Und du bist also für all diese Bücher verantwortlich?« sagte ich.
»Allerdings«, sagte der Kater leichthin.
»Und wenn ich in eines dieser Bücher hineinwollte, brauchte ich es bloß in die Hand zu nehmen und zu lesen?«
»Nun ja, ganz so einfach ist es denn doch nicht«, sagte der Kater. »Sie können nur dann in ein Buch, wenn schon jemand anderes den Weg gefunden hat und durch die Bibliothek hinausgegangen ist. Die Bücher sind, wie Sie vielleicht bemerkt haben, rot oder grün eingebunden. Grün heißt: Der Eintritt ist möglich. Rot heißt: kein Eintritt. Eigentlich ganz einfach. Sie sind doch nicht farbenblind?«
»Das bedeutet also, wenn ich zum Beispiel - na, sagen wir - in das Gedicht ›Der Rabe‹ hineinwollte -«
Der Kater zuckte zusammen.
»Es gibt ein paar Orte, die Sie auf keinen Fall aufsuchen sollten«, murmelte er vorwurfsvoll und schlug mit dem Schwanz hin und her. »Dazu gehören die Werke von Edgar Allan Poe. Diese Werke sind nicht gefestigt; sie sind irgendwie anders. Und das gilt für den größten Teil der wirklich makabren Schauergeschichten. De Sade gehört zu diesen Autoren, Webster, Wheatley und Stephen King. Wenn man da hineingeht, dann kommt man womöglich nie mehr heraus. Diese Autoren haben eine Art und Weise, Sie hineinzuziehen in ihre Geschichten, und ehe man sich's versieht, klebt man fest. Ich will Ihnen mal etwas zeigen.«
Plötzlich standen wir in einer großen Säulenhalle. Der Fußboden und die Wände bestanden aus dunklem Marmor und erinnerten mich an ein altes Hotel. Die Halle war allerdings vierzigmal größer. Man hätte ein Luftschiff darin unterbringen können. Ein roter Teppich führte von den Eingangstüren herauf, und die Messingbeschläge schimmerten golden.
»Hier ehren wir die Ausgebuchten«, sagte der Kater mit gedämpfter Stimme und zeigte mit der Pfote auf zwei Granitblöcke in der Größe hochkant stehender Lastwagen. Das Denkmal war geformt wie ein aufgeschlagenes Buch. Auf der linken Seite sah man eine Gestalt, die gerade zwischen den Zeilen verschwand. Auf der gegenüberliegenden Seite standen lange Reihen mit Namen. Ein Steinmetz war eifrig dabei, mit Hammer und Meißel einen neuen Namen hinzuzufügen. Er nahm seine Mütze ab und grüßte den Kater respektvoll, ehe er in seiner Arbeit fortfuhr.
»Das alles sind Jurisfiktion-Agenten und Forscher, die in Erfüllung ihrer Pflichten gestrichen worden oder verschollen sind«, erklärte der Kater von seinem Sitzplatz auf dem Denkmal herunter. »Wir nennen es das Boojumorial.«
Ich zeigte auf einen der Namen. »Ambrose Bierce war ein Jurisfiktion-Agent?«
»Einer der besten. Ach, der liebe, süße Ambrose! Ein Meister der Prosa, aber schrecklich stürmisch und impulsiv! Er ging - ganz allein - in
Das literarische Leben des Herrn Thingum Bob, Hochwohlgeboren,
eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe, von der kein Mensch ahnte, dass sie irgendwelche Schrecken enthielt.«
Der Kater seufzte.
»Wie es scheint, hat er den Hintereingang zu Poes Gedichten gesucht. Wir wissen, dass man über ein instabiles Verb im dritten Absatz aus
Thingum Bob
in die
Schwarze Katze
gelangt, und von der
Schwarzen Katze
in den
Fall des Hauses Usher,
indem man sich einfach aus den Nicäischen Ställen ein Pferd leiht. Er hoffte wohl, sich über das Gedicht im
Fall des Hauses Usher
Zutritt zum restlichen lyrischen Werk des Autors verschaffen zu können, aber leider .«
»Was ist denn passiert?«
»Wir haben nie wieder von ihm gehört. Zwei andere Buchspürer sind ihm gefolgt. Der eine kam außer Atem, und der andere ... Tja, der
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