Thursday Next 03 - Im Brunnen der Manuskripte
mit unseren Lehrlingen um. Bei deiner schriftlichen Prüfung hast du 93 Prozent richtige Antworten. Herzlichen Glückwunsch. Jetzt müssen die Unterlagen nur noch dem Gattungs-Rat vorgelegt werden dann hast du's geschafft.«
Ich war richtig stolz auf mich, obwohl ich in meinem tiefsten Innersten wusste, dass ich nicht immer Jurisfiktion-Agent bleiben würde. Sobald ich ins Außenland zurückkehren konnte, würde ich es wahrscheinlich tun.«
»Bist du im Fall Perkins irgendwie weitergekommen?«
»Nein«, sagte ich. »Weiß man schon etwas über den Verbleib von Vernham Deane?«
»Der ist spurlos verschwunden. Der Protokollführer will uns deswegen sprechen.«
»Haben die beiden Dinge miteinander zu tun?«
»Vielleicht«, sagte sie etwas mysteriös. »Ich werde Nachforschungen anstellen. Frag mich morgen noch einmal.«
22. Alpträume auf der Krim
Echofinder
sind Handwerker, die einen Text kurz vor der Veröffentlichung betreten und Echos suchen und zerstören.
Als Faustregel gilt, dass identische Wörter (mit der Ausnahme von Eigennamen und kleineren Wörtern wie z. B. Pronomen) einen Mindestabstand von fünfzehn Wörtern im Text brauchen, weil sonst die Gedanken- und Bildübertragung ins Bewusstsein des Lesers gestört wird (s.
Imagino-Transference. Gebrauchsanleitung für Praktiker
, S. 782).
Schon für das Auge sind Echos unangenehm, aber für das Ohr sind sie noch weitaus störender, was die Theorie widerlegt, dass sie ursprünglich aus dem Betriebssystem Oral-Trad stammen (s.
Oral-Trad-Plus
im Artikel
Betriebssysteme, Geschichte der)
.
Der Warrington-Kater, ehemals Cheshire Cat Führer zur Großen Bibliothek
»Hallo!« sagte Granny, als ich zur Tür hereinkam. »Da bist du ja! Wie war's bei der Arbeit?«
»Teils gut, teils nicht so gut«, sagte ich, setzte mich aufs Sofa und machte den Hosenknopf auf. »Einerseits habe ich den praktischen Teil der Jurisfiktion-Prüfung bestanden, andererseits wurde ich des Eingriffs in ein literarisches Kunstwerk für schuldig befunden.«
»Ist das Urteil schon verkündet?«
»Nein, da muss ich noch warten.«
»Das ist das Schlimmste«, murmelte Granny. »Ich war mal wegen Mord angeklagt, und dann musste ich acht Stunden lang auf den Spruch der Geschworenen warten. Das waren die längsten acht Stunden meines Lebens, das kann ich dir sagen.«
»Das glaub ich. Warst du heute zu Hause?«
Sie nickte. »Ich hab dir ein paar Pralinen mitgebracht. Rein schokolademäßig gibt's ja hier nichts Gescheites, zum Beispiel. Jedenfalls nichts, was richtig schmeckt.«
»Hast du etwas über Yorrick Kaine herausgefunden?«
»Nicht viel«, sagte Granny und futterte die Pralinen, die sie mir mitgebracht hatte. »Also, er versteckt sich nicht oder so. Er hat einen weiteren Verlag aufgekauft und versucht, sein politisches Comeback nach dem
Cardenio-Debakel
zu organisieren.«
»Ach. Wo sind denn Lola und Randolph?«
»Ich glaube, auf einer Party. Sag mal, du siehst ziemlich groggy aus - warum gehst du heute nicht mal etwas früher ins Bett?«
»Damit diese Wie-heißt-sie-doch-gleich über mich herfallen kann?«
Granny sah mich ernst durch ihre großen Brillengläser an. »Aornis. Sie heißt Aornis. Erinnerst du dich?«
»Ja. Und wie hieß noch mal mein Mann?«
»Landen. Er wurde von der Chrono-Garde genichtet, ja?«
Da fiel es mir wieder ein, und mein Herz sank. »Ja«, sagte ich leise. Ich war glücklich gewesen in meinem nicht-erinnernden Zustand, aber jetzt kehrten die Wut und die Empörung zurück.
»Manchmal denke ich, es wäre besser, wenn ich es einfach vergäße.«
»Thursday!«
sagte meine Großmutter so scharf, dass ich zusammenfuhr und sie erst einmal wieder Luft holen musste. »So etwas darfst du nie sagen!« Empört griff sie nach den Pralinen und kaute heftig darauf herum. »Aornis hat kein Recht, sich zu nehmen, was ihr nicht gehört. Du musst streng mit ihr - und mit dir selbst - sein und dir zurückholen, was dir gehört: deine Erinnerungen.«
»Leichter gesagt als getan, Granny!« Ich versuchte, mir eine, Praline zu nehmen, aber Granny zog sie fürsorglich auf ihre Seite des Tisches. »Ich möchte gern träumen. Über -«
»Landen.«
»Ja, über Landen. Er ist noch da, aber wir reden nicht mehr so miteinander wie früher.«
Die Tür flog auf, und Randolph marschierte herein. Er ignorierte uns völlig und hängte seinen Mantel in die Garderobe.
»Randolph?« sagte ich. »Alles in Ordnung bei dir?«
»Bei mir?« sagte er, ohne uns anzusehen. »Bei mir ist
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